Die glorreichen Achtziger - Messitsch 2/1991

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Messitsch-Autor Mark Modsen hat in der zweiten Jahreshälfte 1990 in der Serie "Die glorreichen Achtziger" verschiedene Aspekte der (vor allem Berliner) Independent-Szene der späten DDR beleuchtet. Dies ist der achte und letzte Teil der Serie.

Mit vierzehn Jahren wurde er zum ersten Mal vorgeladen. 277 weitere Male verbrachte er auf den Revieren der Volkspolizei oder in den Vernehmungszimmern der Staatssicherheit. Dabei wurde er elfmal mißhandelt, davon dreimal schwer. Ihm wurden die Rippen, der Kiefer und mehrmals das Nasenbein gebrochen, von den obligatorischen Platzwunden durch Schläge mit dem Gummiknüppel ganz zu schweigen. Sein Widerstand blieb ungebeugt. Speiche (27) ist die vielleicht legendärste Figur der Ostberliner Punkbewegung und steht ganz oben auf der Abschußliste der Rechtsradikalen.

Ein Zeitzeuge

MESS: Du bist seit deinem dreizehnten Lebensjahr mit den Unionfans rumgezogen. Hatte das was mit deinem Werdegang in der Punkszene zu tun?

Speiche: Beim Fußball habe ich 'nen Haufen Leute kennengelernt, die einfach was gegen den Staat hatten, gegen Bullen und so. Ich war da so 'ne Art Maskottchen und habe mir meinen Platz erkämpft. Aber das mit dem Punk kam über die Musik. Erst habe ich viel Hardrock gehört: AC/DC, Kiss, auch die Stones. Dann kamen die Sylvestersendungen auf BFBS. Da spielten sie das Zeug, von dem ich später rauskriegte, das es Punk war. Dann lernte ich diese gefährlich aussehenden Typen kennen, vor denen ich massig Respekt hatte. Percy, Mecki, Hanne, den Colonel, meist Leute aus Köpenick. Das war so ungefähr 1980. Die haben mich irgendwann akzeptiert, und ich zog mit zu den einschlägigen Treffpunkten wie Kulti (der Kulturpark - d. Autor), Mecklenburger Dorf und im Winter auf den Alex.

MESS: Das hört sich ja nach viel gesunder Frischluft an. Und wo seid ihr im Winter untergekommen?

Speiche: Wir haben 81/82 in der Jungen Gemeinde der Pfingstkirche am Kotikowplatz vorgesprochen. Die haben uns aufgenommen, aber dann haben sie von der Stasi Feuer bekommen. Weil sie uns nicht ohne Gesichtsverlust rausschmeißen konnten, zogen sie die Tour mit den fehlenden Notausgängen ab. Da standen wir wieder ein Jahr auf der Straße, bis wir in der Rummelsburger Erlöserkirche über ein paar geflippte Diakone einen Gemeinderaum bekamen. Den kennen in Berlin viele noch als den "Leichenkeller".

MESS: Im Leichenkeller haben doch jede Menge Bands gespielt. Fallen dir noch Namen ein?

Speiche: In den ersten Jahren Planlos und Unerwünscht. dann L'Attentat, Schleimkeim und Namenlos. Auch Rosa Extra, Ornament & Verbrechen und Antitrott. Die Toten Hosen haben bei uns 1983 gespielt und andere Westberliner Bands, wie The Rest und Porno Petrol Control. Aber es haben auch Gruppen gekniffen. Als wir zu einer Unterstützungsveranstaltung für inhaftierte tschechoslowakische Bürgerrechtler, u.a. für Vaclav Havel Die Skeptiker einluden, sagten die uns knallhart, daß sie ihre Amiga-LP nicht gefährden wollen. An staatsfeindlichen Aktionen würden sie sich nicht beteiligen.

MESS: Ihr habt den Ruf der Kirche als Dach der Oppositionsbewegung mit gefestigt. Haben die euch wirklich mit offenen Armen aufgenommen?

Speiche: Von wegen mit offenen Armen. Wir mußten uns unseren Platz erkämpfen. Kirchenbonzen und Staat haben uns gleichermaßen das Leben sauer gemacht. Bis zum heutigen Tag existieren keine Mietverträge über unsere Räume in der Elisabethkirchgemeinde. Zusammen mit anderen Gruppen wie zum Beispiel der Initiative Frieden und Menschenrechte haben wir jahrelang mit der Kirchenführung verhandelt. Dann haben wir denen zum Kirchentag im Sommer 1987 ein Ultimatum gesetzt. Entweder wir können unseren eigenen Kirchentag von unten durchziehen, oder wir besetzen eine Kirche. Schlüssel von drei Berliner Kirchen hatten wir uns schon besorgt. Das war der Kirchenführung dann zu brenzlig. Der Kirchentag wurde ein ungeheurer Erfolg für uns. Innerhalb von zwei Tagen kamen zu uns 15.000 Besucher, die offiziellen Besucherzahlen für den gesamten Kirchentag beliefen sich auf etwa 20.000. Danach hatten wir sofort einen besseren Stand in der Kirche.

MESS: Heute findest du die Kirche wohl nicht mehr so spannend?

Speiche: Das oppositionelle Zentrum hat sich verlagert. Früher war es 'ne echte Aufgabe, die Kirche zu unterwandern und der Stasi das Leben sauer zu machen. Nimm mal die Anti-IWF-Aktion im Sommer 1988. Ein Jahr lang wurden die Leute von uns aufgeklärt über den IWF. Für die geplante Demonstration entzog uns die Kirche wenige Tage vorher die Unterstützung. Okay, dachten wir, es gibt auch andere Möglichkeiten. Jeder bekam für zehn Mark Zwanzig-Pfennig-Stücken und dann veranstalteten wir Telefonterror. Pausenlos wurden die Hotels im Ostteil der Stadt, wohin sich die IWF-Bonzen vor den Westberliner Linken verkrochen hatten, angerufen. Oder das Spalier vor dem Pergamonmuseum.

MESS: Wie bitte?

Speiche: Irgendwer hat spitz gekriegt, daß das Pergamonmuseum zum Besuchsprogramm der IWFler gehörte. Mit sechzig Leuten haben wir eine Gasse gebildet, sie mit Buh-Rufen empfangen und mit Pfennigen beworfen. Die Stasi war präsent, griff aber noch nicht ein. Als wir nach dem Rückweg über die Straße Unter den Linden abbogen, haben sie uns auf LKW's verfrachtet. Sie haben aber vergessen, uns hinten einen Aufpasser raufzusetzen. So konnten wir in aller Ruhe unsere Materialen vernichten, Filme verstecken und uns mit Knoblauch präparieren. In der Magdalenenstraße (Stasi­Hauptquartier - d. Red.) mußten sich die ersten Gruppen noch ausziehen, bei uns hatten sie schon die Nase voll, weil wir alle bestialisch stanken.

MESS: Wer hat euch geholfen, wenn ihr Trouble mit Polizei oder Stasi hattet?

Speiche: Unter uns waren einige Leute, die sich mit den Gesetzen 'n bißchen auskannten. Reinhardt Schult der heute beim Neuen Forum ist, hatte schon mal politisch gesessen und konnte uns 'n Paar Tips geben. Dann hatten wir ja noch unseren famosen Rechtsanwalt Wolfgang Schnur. Der konnte ja faktisch nichts falsch machen, wie man heute weiß. Aber auch Leute aus der Kirchenführung haben sich für uns eingesetzt. Manfred Stolpe hat mir persönlich aus der Klemme geholfen. Das ist zwar irgendwo ein Pragmatiker, aber ein integerer Typ. Der hat viel von uns mitbekommen.

MESS: Politiker wie Thomas Krüger (SPD) oder Ibrahim Böhme (SPD) stammen ja ebenfalls aus deinem Umfeld.

Speiche: Krüger ist für mich ein karrieregeiles Arschloch. Der kommt aus der Kirche von unten, kennt unsere Strukturen und unsere Denkweise. Trotzdem hat er öffentlich trompetet, daß die Hausbesetzer alles pseudolinke Desperados aus dem Westen seien. Neulich habe ich ihn aus unserer Kneipe geworfen, als er dort auftauchte. Für mich ist Krüger ein Verräter unserer Sache. Um Böhme würde es mir leid tun, wenn sich die Stasi-Vorwürfe als echt herausstellen. Mit dem möchte ich gern nochmal ein Bier trinken gehen.

MESS: Beim Skinhead-Überfall auf die Zionskirche im Oktober 1987 waren auch Union-Glatzen dabei. Wie hast du den Rechtsruck beim Fußball erlebt?

Speiche: Als die ersten Skins aufkamen, wurden sie noch belächelt. Dann fingen sie an, faschistische Lieder zu grölen und den Nazi-Gruß zu vollführen. Vom harten Kern der Unionfans wurden sie scharf kritisiert, und es kam sogar zu Prügeleien in den eigenen Reihen. Aber mit der Zeit erkämpften sie sich ihre Anerkennung, weil sie bei den Fights in der ersten Reihe standen, und so bekamen sie immer mehr Zulauf. Ich hatte mit denen so eine Art Burgfrieden, denn ich hatte viele Kumpels bei den alten Unionern. Der Bruch kam, als im Sommer 1987 Freunde von mir auf einer Zugfahrt von Halle nach Berlin von Unionskins im Zug platt gemacht wurden und böse Verletzungen erlitten. Beim nächsten Spiel in der Alten Försterei griff ich mir drei Typen von denen raus und polierte ihnen die Fresse. Ab da war Krieg zwischen uns, und seitdem bin ich nie wieder zu Fußballspielen gefahren. Zwei Monate später kam der Überfall auf die Zionskirche.

MESS: Darüberwaren alle damalsziemlich schokiert, weil soviel unverhohlene Brutalität zu der Zeit noch unbekannt war. Meinst du, daß die Glatzen heute genauso abräumen könnten wie vor drei Jahren?

Speiche: Das ganze Dilemma war, daß Element of Crime zuletzt gespielt hat und nicht Die Firma. Die Kirche war nur noch zu einem Drittel gefüllt, die ganzen kampferprobten Typen alle nicht mehr da. Heute funktioniert das Warnsystem viel besser, und man ist an die härtere Gangart der Auseinandersetzung gewöhnt. Auch wir sind heute bewaffnet. Es herrscht so eine Art Gleichgewicht des Schreckens, aber ich denke, daß es in Zukunft noch viel härter abgeht: Wer mit 'ner Knarre in der Tasche abends weggeht, riskiert damit auch, daß mal einer liegenbleibt. Ich habe auch Angst, daß die mal bei mir zu Hause einreiten und meiner Frau oder meinem Kind was tun. Dann ist für mich der Punkt der Kalaschnikow gekommen.

MESS: Trotz aller Militanz beschäftigst du dich mehr mit Kultur als mit Knarren. Du gehörst zum Kern der Organisatoren des Eimers in der Rosenthaler Straße.

Speiche: Ja. Das ist ein besetztes Haus, in dem regelmäßig Konzerte stattfinden. Jetzt machen wir zusätzlich donnerstags Volxküche und Kino. Die Hausbesetzerszene soll bei uns Kraft schöpfen können. Deshalb haben wir niedrigere Eintrittspreise für Besetzer, auch sonst läuft das mit der Kohle relativ liberal. Die Bands spielen alle für die Drinks und die Typen vom Haus arbeiten umsonst. Bis auf den Lichtobjekt-Künstler, der uns das Haus eingerichtet hat, kommen alle Beteiligten aus dem Osten.

MESS: Welche Pläne hast du für die Zukunft, im Jahr 1 der deutschen Einheit?

Speiche: Ich sehe die Bedrohung, der ich und meine Projekte ausgesetzt sind. Die Deutschtümelei und die Ablehnung fremder Kulturen geht mir voll auf die Ketten. Ich habe noch nicht viel Geld oder Zeit gehabt, oft wegzufahren. Wenn ich das Geld dafür auftreiben kann, werde ich mich in drei, vier Jahren aus Deutschland verdrücken.

Autor: Mark Modsen