Die glorreichen Achtziger - Messitsch 3/1990

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Messitsch-Autor Mark Modsen hat in der zweiten Jahreshälfte 1990 in der Serie "Die glorreichen Achtziger" verschiedene Aspekte der (vor allem Berliner) Independent-Szene der späten DDR beleuchtet. Dies ist der zweite Teil der Serie.

Teil 2: Die Meute wittert den Braten.

Wir schreiben das Jahr 1984. Die Welt ist noch rund und UNSERE REPUBLIK ist der Hort des Friedens und Heimstätte aller fortschrittlichen Kräfte. In der Sowjetunion plagt sich die Gerontokratie mit Nachwuchssorgen, dieweil ein young upward professional Namens Gorbatschow an seiner Karriere bastelt, die den bislang mit unumschränkt Herrschenden hierzulande noch manche bittere Pille zu schlucken geben sollte. Noch wettern treu auf die Hager-Herrmannsche Linie eingeschworene Jugendgazetten über Punk und New Wave als von den imperialistischen Diversionszentralen ersonnenen Spielarten der ideologischen Beeinflussung, da braut sich in dem einen oder anderen gar nicht so stillen Kämmerlein einiges zusammen. Die politbürokratisch abgesegnete Kulturlandschaft dümpelt vor sich hin, da präsentieren sich schon einheimische Ableger der morbiden Ausbeuterkultur in ostdeutschen Kulturhäusern. Anfangs machen republikweit nur eine handvoll zorniger junger Männer die Bühnen unsicher; schließlich müssen Gott sei Dank alle Möchtegernartisten eine staatliche Spielerlaubnis beantragen. Doch die Dekadenz hat Epidemiecharakter und der Zulauf ist beängstigend. Die Namen der ersten legalen Auftrittsorte sind heute Schall und Rauch; wer sie besuchen würde, fände irgendwelche Mittdreißigertreffs oder Rotlichtdiskotheken vor. Konzerte im Krausnick-Keller oder in der Thule finden in völlig überheizten Räumen statt, in denen sich das Publikum vertikal stapelt.

In der Fehrbelliner Straße No.7 im Prenzlauer Berg lokalisieren darauf spezialisierte Organe einen Hort des Unheils. Alexander Rompe, in einschlägigen Szenekreisen besser bekannt als Aljoscha, stellt nach Jahren der Existenz als Roady, Fotograph und Lebenskünstler fest, daß sich eine eigene Band als Anlass für permanente Parties viel besser macht als die Lagerfeuergitarre und ordentliche Säle mit Bühnen ein geeigneterer Platz sind als seine Mansardenwohnung. Hausgenosse Gunter Spalda (Seitenflügel) tauft, angestachelt vom Erfolg von Feeling B, seine eigene Combo Rosa Extra kurzerhand manierlich in Hard Pop um und beginnt sich mit einem clever arrangierten Brecht/Weill-Programm die Herzen der Intellektuellen zu erspielen. Aus dem rauen Norden immigriert, kämpft der "kalte Fisch" verbissen um den Erfolg seines Projektes, wechselt Sänger und Bassisten wie nasse Handtücher und legt den Grundstein für eine heimliche Rivalität der beiden Gruppen, obwohl sie anfänglich noch zusammen auftreten. Mastermind Aljoscha lässt währenddessen den ersten akzeptablen Gitarrenverstärker einfliegen, besorgt dem Keyboarder einen 300-Mark-Casio und verkündet das Wirtschaftsprogramm. Ab sofort basteln die Leute von Feeling B eifrig modische Ohrringe und verhökern sie derart geschickt, daß am Ende eine kleine Verstärkeranlage und ein schrottreifer Bandbus dabei herausspringen. Der Siegeszug des organisierten Chaos kann beginnen.

Die meisten anderen der in Ostberlin praktizierenden Untergrundformationen sind dagegen fest entschlossen, mit dem System keine Deals zu machen. In fester Absicht der "ständigen Ausreise aus der DDR" verweigern die Bands jeglichen Kontakt mit staatlichen Stellen. Allmählich lichten sich die Reihen der Aufrechten. Einer nach dem anderen verschwindet aus dem Blickfeld, um sich auf einem anderen Stern einige Kilometer weiter neu einzurichten. Keine interessante Perspektive für die Hierbleiber. Sie machen die erstaunliche Entdeckung, dass es durchaus möglich ist, der Bürokratie ein Schnippchen zu schlagen. Mangels Durchblick fallen die Entscheidungen der Behörden oft wie eine Lotterieziehung aus. Gruppen werden mit Programmen geduldet, für die wiederum andere mit Auftrittsverbot belegt werden. Als Grundsatz gilt: Einmal am Arsch, immer am Arsch. Ein weiterer dauerhafter Knackpunkt für die Kulturschnüffler: Das Arbeitsrechtsverhältnis der Gruppenmitglieder. Alle Bands waren sogenannte Amateurkapellen. Das heißt im Klartext, daß sich jeder Musiker einen "Stempel" im Sozialversicherungsbuch besorgen mußte, um "nebenberuflich" der Auszeichnung gerecht werden zu können, öffentlich seine Musik darbieten zu können. Jobs als Haushaltshilfe hat­ten Konjunktur. Das war aber nicht ganz ungefährlich, denn eine spezielle Steuerdurchführungsverordnung sah vor, daß man als Musiker mindestens 600.- Mark im Haupterwerb zu verdienen hatte. Profimusiker durfte man erst nach einem mehrjährigen Studium werden. Eine Krankenschwester (Durchschnittslohn 500.- Mark) hätte also niemals Musik machen dürfen. So bewegten sich alle Amateurgruppen in einer rechtlichen Grauzone, die es jedem Hilfspolizisten ermöglichte, einem Schwierigkeiten zu machen.

In den Jahren 1984/85 formieren sich die Gruppen der zweiten Generation. Aus der Zucht wird Die Art (Leipzig), aus Rosa Extra wird Hard Pop; es gründen sich Die anderen und aus Cottbus hört man zum ersten Mal etwas von der Schülerband Sandow. Die waren damals recht putzig. Sie hatten eine süße saxophontrötende Sängerin, die mit rührender Kleinmädchenstimme vertonte Erlebnisberichte der Sandower Neubaukiddies zum besten gab. Aus Leipzig dagegen tönte dumpf Die Art: "Du bist grau, ich bin grau, komm lass uns zusammen grausam sein ... " Mit ihren düsteren Prophezeiungen erspielte sich die Combo in seligen Gruftijahren langsam ein größeres Publikum, bis drei Jahre später die Texte englischer und das Metrum straffer wurden.

Feeling B war und ist schon eher ein besonderer Fall der DDR-Independentmusic-Szene gewesen. Ihr musikalisches Material, daß man wohl am besten als elektrifizierte Zeltplatzmusik mit kinderliedhaften Casiomelodien beschreiben kann, stammte zu Anfang hauptsächlich aus den Lagerfeuerzeiten des deutsch-schweizers Aljoscha Rompe. Die Band stellte eigentlich der damalige Trommler zusammen, einen versponnenen Heavy-Gitarristen aus Baumschulenweg plus einen schlaksigen fünfzehnjährigen Oberschüler, der ihm auf einer Schulparty dadurch auffiel, daß er mit Akribie holprige Blueslines auf einem verstimmten Klavier hämmerte und dadurch den Zorn mainstreamgeföhnter Mitschüler auf sich zog. Das präzise und kraftvoll gespielte Schlagzeug, kombiniert mit den pausenlos meternden Sechzehntelriffs der Gitarre und blockflötenähnlichen Keybo­ardklängen bildeten den Hintergrund für den nöligen Schreitenor von Caruso Aljoscha, der wohl immer klingen wollte wie Jello Biafra, ansonsten aber nicht bis vier zählen konnte.

Aljoscha lag das Organisieren von chaotischen Feten sowieso mehr als diese verdammte Singerei, wo man sich immer diese endlos langen Abläufe merken muss. Ein exemplarisches Beispiel seiner rastlosen Partymania verdient es, dem Vergessen entrissen zu werden.

Eines grauen Morgens machten sich in Berlin-Schöneweide einige hundert Freaks in Richtung Spremberg auf. Der Buschfunk hatte ihnen ein Spektakel mit mehreren Bands im Braunkohlerevier verhießen. Nach der Zugfahrt versackte das erste Drittel in der Spremberger Bahnhofsmitropa, während der Rest geduldig auf den versprochenen Pendlerservice zwischen Bahnhof und Fete wartete. Nach etwa zwei Stunden erschien in einem klapprigen Auto Aljoscha und verkündete die Marschroute von schlappen zehn Kilometern. Solcherart gestärkt, machte sich der Haufen auf den Weg. Am Ende der kräftezehrenden Wanderung schließlich bot sich dem Betrachter ein seltsames Bild.

Mitten auf einer spärlich aufgeforsteten Halde gelegen, ragte eine große Fahrzeughalle hervor, auf die aus mehreren Himmelsrichtungen Menschengruppen zustrebten. Von weitem war das Knattern des Notstromaggregats zu hören, mit dem die E-Anlage betrieben wurde. Im Inneren der Halle waren auf alten Feuerwehrautomobilen kunstvoll Bühnen hergerichtet worden. Massig alte Emailleschilder und FünfzigerJahre-Werbung komplettierten das Outfit der Spielstätte. In Vorfreude auf das kommende Ereignis wurden schon mal die Wermutflaschen angebrochen, doch es sollte anders kommen. Mit dem Einzug des Dorfpolizisten, eskortiert von der Stasi der Kreisstadt, nahm das ganze Happening ein jähes Ende. Die Genehmigung sei nur für eine Feier mit Diskothek ausgestellt gewesen, hier aber würden auch Kapellen auftreten wollen, und das wäre absolut unzulässig. Im übrigen hätte man allen Anordnungen sofort Folge zu leisten und seine Sachen zu packen. Die Kontroverse zwischen Organisatoren und der Staatsmacht spitzte sich mehr und mehr zu, als schlussendlich Aljoscha die Debatte abrupt mit dem kernigen Ausspruch "Fickt euch ins Knie" beendete.

Frustriert trotteten die Massen zurück zum Bahnhof der verschlafenen Stadt Spremberg. In einer verräucherten Tanzspelunke nahm die ganze Sache dann doch noch eine unerwartet positive Wende. Während die von Enttäuschung gezeichneten Gesichter der Leute die Nasen über das Essen rümpften, hieb im benachbarten Saal eine Tanzkapelle im Takt gefälliger Melodien auf ihre Instrumente ein. Plötzlich ertönte eine Musik, die sich von dem umbatätärä provinzieller Prägung schwer unterschied. Auf der Bühne schafften sich auf einmal Musiker einer Jazzband, die sich unter den Partygästen befunden hatten. Der Chef der Tanzkapelle stand mit auf der Bühne und schlug im Zustande höchster Verzückung das Schellentambourin. Die importierten Massen tobten, derweil die einheimische Bevölkerung sauertöpfisch auf das Wiedereinsetzen der Schunkelrunde wartete. Als sich dann unter den Interessengruppen ein handgreiflicher Konflikt anbahnte, war das Intermezzo des guten Geschmacks ebenso schnell fini, wie es begonnen hatte. Aber den zu Hause Gebliebenen konnte man wenigstens was erzählen ...

Die Entstehungsgeschichte der Berliner Gruppe die anderen ist schnell erzählt und ebenso banal wie logisch. Nachdem Aljoschajünger Olaf "Toster" Tost als Bassist keine Gnade vor den Ohren der Feeling B Mannen fand, beschloss er trotzig, halt eine eigene Band zu gründen. Als Drummer stieg der Reggae-Experte Steffen "Stift" Krüger ein und brachte einen dritten Musiker mit, der nach geklärter Rollenverteilung den Job des Bassgitarristen übernahm. Probemöglichkeiten fanden sich gegenüber der Wohnung des Bassisten Stefan Schüler in der Liebigstraße im Berliner Bezirk Friedrichshain, in der zwei Jahre später zwölf Bands ihre Übungsräume installierten, bis die KWV dem munteren Treiben ein gewaltsames Ende setzte. Die Band debütierte im Dezember 1985 in einem Studentenclub in der Habersaathstrasse (Berlin - Mitte), doch der eigentliche Aufstieg begann in einer erweiterten Besetzung im Frühjahr 1986 im Club an der Weißenseer Spitze. Nachdem das Ende eines Punkkonzertes im Rummelsburger Leichenkeller zeitlich mit dem Beginn des Auftrittes der anderen in der Spitze zusammenfiel, enterten rund 500 Punks das Auditorium und sorgten für die spätere Popularität der Gruppe. Dem Club war nach einem wenige Wochen später folgenden Auftritt der Ostberliner Performancegruppe Der Demokratische Konsum nur noch ein kurzes Leben beschert. Nach einem mutmaßlichen Sabotageakt an der Hausheizung vor und während eines Konzertes von Feeling B, Happy Straps und Die Firma wurde die Spitze geschlossen und die genauso engagierte wie unerfahrene Clubleiterin strafversetzt. Die ehemalige Bäckerei (heißt im übrigen heute Brotfabrik) fristete dann anderthalb Jahre ein trübes Dasein als Schülertreff bis zu seiner Wiedereröffnung als Galeriecafe Eintritt durch den ehemaligen Maxim-Gorki-Clubmacher Jörg Fugmann, der mit viel Geschick die staatlichen Stellen unterlief.

Mittlerweile hatte bereits der Einzug der Independentbands in andere Spielstätten begonnen. Club 29, Sophienclub, Franz- und Knaackclub, aber auch größere Häuser wie das HdjT und das Kino Babylon veranstalteten erfolgreich Konzerte. Die Organisatoren hatten die Gewinnträchtigkeit der Szene schnell gerochen. Der wichtigste Anlaufpunkt wurde jedoch die Insel der Jugend. Die schon legendäre x-mal!-Mannschaft sorgte dafür, dass alles, was in der Republik neu und schräg war, dort auftreten konnte. Wenn auf der Insel was los war, strömten abends die Massen vom S-Bahnhof Treptower Park zum idyllisch gelegenen Spree-Eiland und verbreiteten eine Bombenstimmung. Ein Wunder eigentlich, dass noch niemand besoffen von der Brücke gefallen ist, oder doch?

Der Massenzulauf inspirierte die Kids, sich gleichfalls ein paar Griffe draufzudrücken und sich auf den Brettern, die das Geld bedeuten, zu präsentieren. Über die dritte Generation der Berliner Indie-Szene mehr im nächsten Teil meiner unzulässigen Verallgemeinerungen.

Autor: Mark Modsen