New Music Seminar - NMI/Messitsch 4/1992

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Diesen Text habe ich im Juli 1992 nach einem Besuch des New Music Seminars in New York geschrieben. In NMI/Messitsch ist eine gekürzte Fassung erchienen. Das hier ist der komplette Text, aufglockert mit ein paar Fotos, die ich damals vor Ort gemacht habe. Lutz Schramm

Was Batman mit einem Cop Killer zu tun hat, wieso Bill Clinton Sister Souljah eine Rassistin nennt und was John Trudell dazu meint, warum eine Gerichtsverhandlung auch einen gewissen Showwert besitzen kann, wieso 30% relativ viel von relativ wenig sind, weshalb eine Posaune einen Abend retten kann, wofür man zwei Stunden in einem Pulk von Japanern und schwarzen Hip Hop Fans rumhängen kann, weshalb der Name Fritz doch auch mal witzig sein darf und wieso ein Schulbus die eigentlich neue Musik auch nicht tragen kann, hat Lutz Schramm aufgeschrieben, denn er war im Big Apple und hat sich umgesehen und -gehört.

Die Polizei von Dallas, Texas empfiehlt: Boykottiert "Batman returns"!

Das New Music Seminar fand in diesem Sommer zum 13.Mal statt. Altgedient schon und als etablierte Musikmesse/Lehrveranstaltung/Supershowcase Jahr um Jahr für die "alternative" Popmusikszene von Interesse. Einschlägige Veranstaltungen gibt es derweil ja reichlich. Man trifft sich in Cannes, in Texas, Berlin und Köln, neuerdings auch ganz familiär in Hamburg. Da will jeder sein kleines Feld zum Zentrum machen, was nicht gerade hilft, den Überblick zu behalten oder zu bekommen. New York jedenfalls hat von Anfang an auf eine strikt kommerzielle Orientierung gesetzt, was die Durchführung des Seminars angeht. Alles muß bezahlt werden, denn in den Staaten gibt es keine staatliche Subventionierung des Rock'n'Roll. Das hat aber ganz einfach zur Folge, daß in der wirtschaftlichen Situation, in der sich die USA befindet, es sich kaum noch jemand leisten kann, am Seminar teilzunehmen. Die Veranstalter prozten in diesem Jahr damit, daß 30% der registrierten Teilnehmer aus dem Ausland kamen. Keine Kunst, wenn aus dem eigenen Land so wenig Leute dabei sind.


look in the mirror and laugh

Natürlich konnte man an den fünf Tagen im Juni wieder viele junge, hoffnungsvolle Rock-Kids und B-Boys/-Girls vorfinden, die auf den großen Deal hofften, oder doch zumindest mal ihre Demotapes und selbstproduzierten Platten an die richtigen Leute bringen wollten. Nur dem Mutigen winkt der Erfolg und wer diese Maxime nicht beherzigt, hat schon den ersten Schritt nicht geschafft. Der geniale Shimmy-Kramer hat es auf den Punkt gebracht:

Macht nicht schlapp, wenn Ihr im Musik-Business arbeitet, auch wenn Ihr es haßt. Es ist in Ordnung, wenn Ihr Musik für wichtig haltet, aber nehmt es nicht ernst. Es ist wichtig, wenn Ihr am Morgen in den Spiegel sehen könnt und lacht. Die Musik wird leblos, wenn man vergißt zu lachen.

Zu lachen hatte ich einiges beim Panel, das von Kramer geleitet wurde und das den beeindruckenden Titel: "Wie macht man eine gute Platte billig" hatte. Greg Ginn (SST), Lee Renaldo (Sonic Youth), Roger Shepherd (Flying Nun) und andere Produzenten/Musiker beantworteten Fragen über die richtige Bandgeschwindigkeit bei Tonaufnahmen und die korrekte Variante eine Gitarre zu tunen. Natürlich sind solche Fragestellungen generell seltsam, denn zuerst mußten alle mal feststellen, daß jeder etwas anderes unter einer guten Platte und dann gleich noch unter dem Wort billig versteht. Kramer wußte jedenfalls immer mal mit einem Witzchen aufzuwarten und gab Adressen von Masterstudios und Tips für gutes Essen bei Aufnahme-Sessions zum besten. Die Panels waren in der Regel von grassierender Langeweile geplagt, denn nicht immer waren die MCs so fit, wie der Spaßmacher von Shimmy Disc. Es wurde vor allem darüber gestritten, was denn nun Indie, Alternativ und überhaupt New ist. Gähn. Oberdröge war eine Diskussion unter dem vielversprechenden Titel: "A&R nach Nirvana". Was passierte, war, daß ein paar obercoole A&R-Manager darüber sinnierten, wie man junge Talente findet. Jeder wußte seine eigenen Vorteile zu preisen und dem Nachbarn auf die kollegialen Schultern zu klopfen.

Die Nummer eins unter den Panels war jenes, das sich mit den Problemen des Sampling befasste. Die Frage war, ob Sampeln Kunst oder Diebstahl ist. Man konnte eine witzig inszinierte Gerichtsverhandlung miterleben, die einen realen Fall mit den beteiligten Personen begutachten sollte. In einem Tribe Called Quest Song gab es zwei Noten einer Trompete aus einem älteren Soulstück. Die Rechtsverdreher der jeweiligen Seiten stritten trefflich über Sinn und Unsinn solcher Streiterein und das Publikum machte "Judge Cat" Jackson von BMI durch Zwischenrufe und einseitige Bekundungen für die Angeklagten zu schaffen. Natürlich konnte man sich am Ende nicht so recht einigen...aber es war ein schöner Spaß.

Ice T auf einem NMS-Panel, New York, 1992<br/>Foto © Lutz Schramm

fuck the police

Ganz und gar nicht spaßig ist das, was man zur Zeit in der amerikanischen Öffentlichkeit erleben kann. Der Präsidenten-Wahlkampf befindet sich in vollem Gange und die Kontrahenten stehen unter dem üblichen öffentlichen Druck. Die Auseinandersetzungen in den Ghettos von LA und anderswo sind die kleinen Flammen, die aus einem brodelnden Kessel sozialer Unzufridenheit züngeln. Und die hektischen Versuche, mit spektakulären Aktionen, wie der Bereitstellung einer fetten Billion zur Hilfe für die großstädtischen Siedlungsgebiete die Wogen zu glätten, sind als Wahlkampf leicht durchschaubar.

Es gibt keinen politisch klar denkenden Amerikaner, der damit rechnet, daß einer der zur Wahl stehenden Kandidaten etwas bessern würde. Das Verrückte ist, daß deshalb kaum jemand an dieser Wahl interessiert ist. Schon jetzt muß man sich als Wähler registrieren lassen und zwar in Listen, die nach den Kandidaten sortiert sind. Eine seltsame Wahlform... Über die explosive Situation im Lande urteilt Africa Bambaata, der Vordenker der internationalen Zulu Nation folgendermaßen:

Das alles hat uns nur geholfen, uns daran zu erinnern was in Amerika los ist. Es ist das selbe was Du in Deutschland hast mit den Nazis und Skins, die aufkommen und in Frankreich Le Pen und deren Skin-Bewegung... All das zeigt uns, welche krankhaften Probleme es in der Welt gibt. Überall, mit verschiedenen Religionen, in verschiedenen Ländern. Das ist die Zeit der Dunkelheit. Das ist der Wettlauf der Bibel und des Koran... Und es ist besser, Du versuchst es zu verstehen. Du kannst nicht nur auf den Parties sein und Techno, House oder Hip Hop hören, du mußt lernen, was los ist in der Welt und mit Deiner Regierung, heute.

Nur leider wissen die meisten Amerikaner ganz offensichtlich nicht, was mit ihrer Regierung los ist. Daß es den Kommunen an Geld fehlt und die Leute selber kaum die nötigsten Dinge bezahlen könne, merkt zwar jeder, aber die Zusammenhänge scheinen dann doch nicht klar zu sein. Die Verdrossenheit über das etablierte Zweiparteiensystem wird wohl die meisten Wähler sich für den "unabhängigen" Präsidentschaftskandidaten Perot entscheiden lassen, einem Billionär aus der Computerbranche. Bush hat sich eh als zu blöd erwiesen und Bill Clinton, der demokratische Kandidat ist so offensichtlich rassistsich, daß selbst der Umstand, daß in seinem Golfklub vor 35 Jahren ein(!) Schwarzer mitspielen durfte niemanden mehr für ihn warm werden läßt, wenn man mal von den gut sortierten KKK-Weißen absieht und der berühmten schweigenden Mehrheit, die auch mal gern 'nen Nigger killt.

Clinton ist zur Gegenoffensive übergegangen und hat sich ein Opfer unter den schwarzen Rapperinnen herausgesucht. Bei einer Veranstaltung, die Jessie Jackson organisiert hat, ließ Clinton wissen, daß er Sister Souljah für komplett so schlecht hält, wie den härtesten KuKluxKlan-Typen, weil eben diese 20jährige Rapperin Reportern der Washington Post gesagt haben soll, daß Schwarze, die Schwarze töten, in der nächsten Woche auch Weiße abknallen. Von ihr lediglich als bedenkenswerte Möglichkeit der Gewaltsteigerung gemeint, nutzte der Im Glaspalast sitzende Clinton den Steinwurf scheinbar geschickt. Er durfte sogar in einer MTV-Show für seine Ansicht streiten. Sister Souljah hämmerte deftig zurück. Sie berief eine Pressekonferenz ein und knallte Clinton seine Borniertheit um die Ohren. Nur, denke ich mal, wird das in der jetztigen Situation niemandem helfen, außer den rechten Weißen.

Denn just zur gleichen Zeit hat ein anderer schwarzer Popstar Trouble mit dem Establishment. Ice Motherfucker T, der gerade eine LP mit seiner Metal Band Body Count draußen hat, auf der auch eben mal die Polizei gefickt wird. Der Song "Cop Killer" regte die Cops so sehr auf, daß sie gleich dazu aufriefen, den neuen Batman-Film zu boykottieren. Schließlich sind beide Kunstwerke, die Body Count LP und der Film ein Produkt des Time-Warner-Konzernes. Ganz in stalinistischer Manier gehen sie eben gleich zum Boß, weil das kleine Würstchen am Ende der Stange eh nicht so richtig was zu verlieren hat. Ice-T dazu im O-Ton:

Die mit ihrem Boykott sind zu Time-Warner gegangen, warum nicht zu mir?. Die Cops haben ein Problem mit mir. Also warum kommen sie nicht zu mir. Die können mich boykottieren und trotzdem verkaufen sich meine Platten. Die wissen, daß sie mich nicht erreichen können, es sei denn sie töten mich. Die Feinde meines Albums sind Rassisten: der KuKluxKlan, Eltern, welcher Rasse sie auch angehören, die ihre Kinder rassistisch erziehen und brutale Polizei. Das sind meine Feinde. Ich habe nichts gegen Polizisten generell. Es gibt Polizisten die nicht korrupt sind und ich könnte auch ein Cop sein..., wenn Ihr wißt, was ich meine, aber schreibt das bloß nicht. Der Song den ich gemacht habe, war nicht in einem Film, nicht in einem Buch oder Comic, es war eine schwarze Rockband, die ihn gemacht hat und erreichte damit einige Leute... Und die waren sehr erschrocken darüber. Und ein Reporter fragte mich: könnten die Bullen nicht möglicherweise verletzt sein... Natürlich können sie verletzt sein! Aber ich bin auch verletzt. Ich denke, wir alle haben Angst vor dem anderen...Klar, Fuck The Police! Sind sie für die Sicherheit der Leute gut. Sind sie Feuerwehrleute? Oder Köche? .... Wenn Du meine Platten hörst, gleich vor Cop-Killer kommt ein Song in dem es heißt: Mutter ist gestorben. Wenn niemand was dagegen hat, daß ich meine Mutter ficke, warum dann die Polizei?

Die wird schon ihre Gründe haben. Nochmal auf den Punkt gebracht hat dieses Problem John Trudell, ein schon etwas in die Tage gekommener Songschreiber aus den guten Hippie-Zeiten. Auch er hat lautstark den Finger auf die Wunde gehalten und sich die Politiker vorgenommen.

Laßt uns auf den politischen Zug aufspringen. Und ich sehe diesen Clinton darauf. ... Ich meine ich sehe den Rassismus, der angeblich von Clinton angefeindet wird, indem er sich eine schwarze Frau heraussucht, um sie zu belehren, wie sich der Polizeistaat eine schwarze Frau herausgreift um nochmehr Rassismus zu schaffen. Er ist nicht anders, nicht anders als Bush oder Perot... Die Perots besitzen die Bushs und die Clintons. Niemand findet das gut und jeder hat seine eigene Definition der Realität im Kopf. Wir müssen lernen, die Lügen zu erkennen. Die Lüge von der Freiheit und Demokratie. Handelt mit der Realität! Wenn Ihr auf die Demokratie wartet, verspielt Ihr die Umsetzung Eurer Rechte heute. Wenn Du eine Frau bist, stuft Dich die Demokratie in die 2.Klasse ein und wenn du schwarz bist bist du auch 2.Klasse. Und wenn Du andere Ideen hast, nennt Dich die Demokratie ihren Feind.

Nun, jeder merkt, daß hier nicht nur amerikanische Probleme behandelt werden. Es ist immer wieder auffällig, daß man sich beim New Music Seminar doch ein ums andere Jahr die Zeit nimmt, um diese Musik/Politischen Verquickungen zu beleuchten. Nur, daß eben nicht jedes Jahr Wahlkampf ist.

I see, I spupose that would have to be the case.

don't need no bullshit

Was nun den Rock'n'Roll angeht, ließ das Angebot doch einiges zu wünschen übrig. Ich habe es ja schon vorsichtig angedeutet. Die wenigen Kapellen, die nach Kramers Rezept verfahren und das ganze Spektakel nicht so ernst nehmen mußte man mit der Lupe suchen. Dabei waren die Ohrstöpsel hilfreich, die man als registrierter Seminar-Besucher erhielt. Mich hats gleich am ersten Abend auf dem falschen Ohr erwischt, als ich im CBGB's ein paar ganz besonders grauenvolle Provinzbands erleben durfte.

Mal gerade drei bemerkenswerte Gigs kann ich im Nachhinein aufzählen. Der genialste war das Set der Lillies aus Washington, D.C., eine Band mit Posaune, Gitarre, Bass und Drums und einem Sänger, der fünf Jahre zu spät und dann genau aus England zu kommen schien. Jedenfalls klang er mehr nach Morrisey, als nach Lemmy und in dem Getöse, das die Band fabrizierte, machte sich das wie eine Lilie in einem Steinbruch aus...oder so.

Nur Steinbruch bieten Green Magnet School. Die Band stammt aus Seattle und ist dann auch noch auf Sub Pop, wird aber mit ziemlicher Sicherheit noch nicht im nächsten Jahr bei Geffen unterschreiben. Die mit drei Gitarristen startende Band spielte in einem Club in der Mitte von Manhatten, der erstaunlich leer war, wenn man bedenkt, daß eigentlich alle gespannt sein müßten, was die Nirvana-Entdecker noch so entdecken können. Aber genau das ist es ja, was mich so angeödet hat, in diesen Seminar-Tagen: Alle krampfen nach irgendwelchen Erfolgsstrategien...R&R macht keinen Spaß mehr, oder doch viel zu wenig.

Richtig spaßig war die Idee von September's Child aus Pittsburg. Die Band hatte es irgendwie verpaßt, sich um ein Showcase zu kümmern und kam mit einem Schulbus an, auf dessen Dach sie ihre Konzerte gaben. Der Gesang über die Gitarrenbox klang freilich eher reudig. Die netten Songs von September's Child vertrieben die Langeweile beim Warten auf Einlas, zum Beispiel vor dem Marquee.

Wenn man die Wahrheit des Werbespruchs einer Musikzeitschrift bedenkt, die da sagt, daß man Bullshit etwa so nötig hat, wie ein Loch im Kopf, dann muß man sich schon wundern, warum ein Riesenteil, wie das New Music Seminar insgesamt eher unerheblich ist. Das ist freilich die Krise, in der sich unsere Welt befindet. Da wo die neue Musik wirklich neu ist, wird sie wohl auch noch Freude machen...solang, bis sie auch ihr Geld wert ist.

The Lillies @ Knitting Factory, 1992<br/>Foto © Lutz Schramm
September Child beim Gig auf ihrem Tourbus<br/>Foto © Lutz Schramm