Tape Control 05 1993

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Der Bandwurm von hier bis zum Ende der Welt kann kaum länger sein, als dieses Gewirr, das sich durch meine Gehörgänge dröselt. Trotz Wirrnis, versuche ich auch diesmal, klar zu sein und deutlich zu schreiben. Was war also zu hören.

Besonders aktiv bleibt das sächsische Volk, vornehmlich aus Dresden und dessen Waldreicher Umgebung. Als Nachschlag zum gleichnamigen Festival zu Weihnachten, liefert uns Zieh Dich Warm An Tapes den "Striezelbeat-Sampler". Die im Star-Klub mitgeschnittenen Bands gehören zur ersten Riege sächsischen Kulturschaffens. Von Crazy Horst, über Need A New Drug, Atonal und DOD bis Where is the Beef und Think About Mutation hören wir alles, was gut und laut ist. Und es gibt einiges zu entdecken. Dead Gammon oder Nothing To Do... Der Sound der Mitschnitte ist so verschieden wie die Bands, klingt vom Band dann aber doch erfreulich satt. Mehr kann man sicher nicht erwarten, wenn nicht ein großer Ü-Wagen vor der Tür stehen kann. Im beigelegten Heft kann jeder noch nachlesen, was es informatives zu den Kapellen zu sagen gibt.

Der elfte Titel auf der ersten Seite des Striezelbeat-Samplers wird von einer Band namens Lina Heil geliefert. Diese junge, hoffnungsvolle Musikantenkollektiv schrubbt den zeitlosen Beat herunter, der aus den Kellern zwischen Toronto und Sydney, Helsinki und Bologna fabriziert wird. Während die englische Diktion des Sängers einen starken Akzent nicht leugnen kann (und es auch nicht versucht), geben die Songs insgesamt Anlaß zur Annahme, daß sich Lina Heil auf dem Wege zu einer ganz eigenen Note befindet. Das Durcheinander des "Love Songs" zum Beispiel, liefert Erkenntnisse über den Gemütszustand der Musikanten und der sechste Song gibt dann die musikalisch/ästhetische Orientierung deutlich an: "Straight D.C.'s"

Viel konsequenter in Krach und entschlossener Kampfkraft gibt sich Endaron aus Potsdam. Die brandenburgische Landeshauptstadt wird ihrem Ruf, Heimat excellenter Bands zu sein immer gerechter. Leider bleibt es dabei: Es wird weiter auf Kassetten veröffentlicht. Was dem Material selbst keinen Abbruch tut, wie alle wissen, die schon mal reingehört haben. Die aktuelle Kassette von Endaron heißt "Rest". Böser, schlingernder Bass spricht mit grimmigen Gitarren. Trommel wird gebückt geprügelt und Stimmen bröhlen revolutionäres Liedgut heraus. "All a fucking mess" ist dann auch die Essenz, aus der die unfreundliche Ansprechhaltung der 8 Prügelhits über uns kommt. Wer kann schon wirklich freundlich sein, in Zeiten wie diesen. Der einzige Song mit deutschem Text beschäftigt sich mit Gewalt und, wie gesagt, es lohnt sich auch mal auf die englischen Lyrics zu lauschen. Die Hardcore Gemeinde an Havel und Spree kann jedenfalls stolz sein, eine Band wie diese unter sich zu haben. Davon sollte es mehr geben.

Zwischen der Erkenntnis, daß dieses Leben zum kotzen beschissen ist und man/frau deshalb am besten zuschlagen sollte (wenigstens verbal) und der Einsicht, daß dieses Leben beschissen ist und man/frau deshalb ganz besonders traurig sein sollte liegen oft nur drei Minuten, in denen man/frau einen Song lieben gelernt hat. Waren es Fugazi oder die Smiths. Schon ist die Entscheidung gefallen. Fünf junge Männer aus dem Prenzlauer Berg haben sich für den traurigen Weg entschieden. Auf einem nebligen Hinterhof, unter entlaubten, knorrigen Ästen singen sie vom langanhaltenden Warten auf die wahren Gefühle. Sad Affair hat diese Kassette im Herbst letzten Jahres in Berlin aufgenommen. Kay Schwarz läßt seine Stimme hin und wieder in die Lagen seiner (englischen) Vorbilder kippen und die quengelnden Gitarren geben uns das Gefühl längst verloren gegleubter Vertrautheit. 6 schöne popsongs von schlichter Überzeugungskraft.

Mit unregelmäßigem Durchhaltevermögen und immer wiederkehrender Schlichtheit begeistern die Berliner Zongkonstrukteure und deren musikalische Zwillinge von den Terribles. Erstere geben sich in der Regel unbedarft und mit schepperndem Schlagzeug, raumfüllender Gitarre, nebst nörgelndem Gesang. Sie haben ihre Lieder wohlkonstruiert und versuchen uns nicht mit schnöden Studiogimmicks über deren wahre Qualitäten zu täuschen. TERRIBLE dagegen (?) ist das, was wir als Rockband bezeichnen, wenn die Frage nach solchen Bezeichnungen aufkommt. Wenn nicht, kann man sie einfach anhören und immer besser finden. Mir geht es jedenfalls so. Die beiden Instrumentalstücke auf der neuen Kassette lassen mich von einer großen Zukunft für diese Band träumen. Allerdings scheint mir, als ob die Musikanten solche Träume nicht hegen.

Ein Luxus, den sich Peter Subway nicht mehr leistet. Natürlich weiß er, daß auch für ihn ein solcher Traume fürs erste ein Traum bleiben wird. Aber der U-Bahn Musikant und beliebter Szene-Sänger aus Berlin versucht schon, seine Songs unter die Leute zu bringen. Auch an die, sie er in den Kneipen und gelben Untergrundzügen der Hauptstadt nicht erreicht.

Ein wenig an den frühen Herrn Blum errinert mich Phillip-Jaques Jour aus Kaiserslautern. Ganz kindliche Lieder, oft allein oder mit sparsamer Unterstützung anderer auf Kassette gespielt. Kein Technik-Schnickschnack und geradeheraus erzählte Geschichten oder Beschreibungen. Zitate aus dem Kleinen Prinzen sind hier nicht zufällig und wohl auch nicht der grelle Schlips. Das ist Hausmusik im besten Sinne.

Um Welten heftiger und auch eher auf die harte Art am Leben beteiligt ist die Kapelle The Bottles. Aus dem nördlichen Sachsen stammen die wilden jungen Männer, die ihr Publikum mit dem drögen Punk der alten Tage tracktieren. Auf dem Tape "Einstand" gehts auch gegen Nazis und mit wehem Blick in die Vergangenheit ("DDR") halten sie sich am Puls der Zeit.

Und dann noch: The Circus aus Westberlin. Berliner Szenepop, wie wir ihn immer mal finden. Eine von vielen, sauber gespielt, kann aber eigentlich nicht überraschen.