Die Art - URGH! Nr.2 10/1991: Unterschied zwischen den Versionen

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'''''copyright:'' Dieter Mörchen, Oktober 1991'''
== Würde es sie stören, wenn wir suchen? ==
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Version vom 17. April 2007, 17:27 Uhr

copyright: Dieter Mörchen, Oktober 1991

Würde es sie stören, wenn wir suchen?

Mit dieser höflichen Frage begann im März 1987 die Tonträgerkarriere der Leipziger Parade-Underground-Band "Die Art". Weniger als zwei Jahre zuvor mutierte die Band aus der schrillen Post-Punk-Combo Die Zucht, der die damals Regierenden mit dem gewohnt phantasielosen Mißtrauen ihrer Zensurbehörden auf grund des Bandnamens und Songtiteln wie "Heimatlied" oder "Zucht und Ordnung" reaktionäres Gedankengut unterzuschieben suchten. Da damals Auftrittswohl und -wehe von der berühmten "Einstufungskommission" abhing, wählten die Musiker als tragfähigsten Komprorniß den genial-hintersinnigen Namen "Die Art" und machten sich, ausgehend von der düster-abstrakten Thematik eines Ian Curtis, dem Spieltrieb der Damned und den Sounds der Barmherzigen Schwestern, auf die Suche nach dem eigenen Profil, deren Ergebnis in Form einer Kassette (DEM Medium der Zeit) unter dem Namen "Would You Mind Us Looking For?" im März 1987 vorlag. Dieses Debüt-Tape reicht in seiner stilistischen Vielfalt vom Kult-Nonsens­Pogo "Irish Coffee" bis zum experimentellen, kompliziert-gebrochenen "Nothing Is Real", und ist vom konzeptionellen Charakter späterer Arbeiten noch weit entfernt. Bereits zum Zeitpunkt des Erscheinens hatte "Die Art" ihr Programm entscheidend "entschlackt" (u.a. entfielen die Keyboards) und strebte vor allem live einen straighteren Sound an. So war im Herbst 1987 bereits genug Material für eine zweite MC unter dem Titel "Just Another Hit" beisammen.

Die Songs wurden live bei einer von DT 64-DJ Lutz Schramm organisierten Parocktikum­Radio-Session mitgeschnitten. Die Kassette enthält zu 50 % altes, aber neu arrangiertes Material, zur Hälfte ganz neue Sachen, darunter solche Klassiker wie "Looking For My Mind", "Voices" und vor allem "Eternal Fall", dem Art-Hit der Jahre 1987/88 schlechthin. Dieser Titel erschien in der Folge dann auf diversen Samplern, auf der Parocktikum-Platte, auf der französischen "Born in D.D.R."-Compilation und war gar für das legendäre "Rockbilanz 1989"-Album im Gespräch.

Unterdessen feilte "Die Art" bereits in Stolles Studio-Bunker an ihrem Meistertape "Dry", das im Frühjahr 1989 unters Volk kam. Und das lange Warten hatte sich gelohnt. Es enthält nicht nur solche Kult-Hits wie "Marian", "Black Dust" und "Wide, Wide World", es wurde auch "Tape des Jahres" der Parocktikum-Hörer und, was Verkaufszahlen und Popularität angeht, vielleicht erfolgreichste Tape-Produktion der DDR überhaupt.

Zeitgleich erschien noch die "Best&Rest"-Compilation "Just Another Hit Again" und dann war es vorbei mit DDR und Kassetten-Zwang. Die wilde Wendezeit brachte den langersehnten Vinyl-Erstling, "Fear" betitelt. Die LP war eigentlich eher eine Art "Dry"-Remix und ein ähnliches Resümee-Werk wie "Would You ... ". So ging noch ein reichliches Jahr ins Land, bis echt neues Material vorlag. Jetzt ist es da in Form der (verflixten) zweiten LP "Gold" und konnte vorab von URGH! in Ohrenschein genommen werden. Art-Sänger Holger Oley stellte sich unseren fünf gnadenlosen Fragen.

URGH: Als ich zum ersten Male "Pissing At The German Flag" im Konzert hörte, war ich überrascht über so viel politische Eindeutigkeit, irgendwie passte es nicht so ganz in mein Bild vom "typischen" Art-Song. Jetzt ist es sogar auf der Platte, heißt aber nur noch "Pissing" und im Text geht es um "Every Flag". Wie ist dieser ungewohnte Text entstanden, und warum nun dieser "Rückzieher"?

OLEY: Nun, die Zeit, in der dieser Text und der dazugehörige Song entstanden, war eigentlich allerorts von Enttäuschung geprägt, so überfahren zu werden mit dem ganzen zur Wiedervereinigung zählenden Absturz ins Nichts. So richtig wollte sich keine Zugehörigkeit zu Deutschland entwickeln, es kam eher Ablehnung auf. Der Text ist eigentlich als Reaktion auf die blinde Euphorie gedacht gewesen, die weite Teile unserer Mitmenschen erfaßt hatte. Inzwischen geht es aber, man blickt klarer und der ursprüngliche Text hatte keine Gültigkeit mehr. So gesehen ist es kein Rückzieher, sondern Entwicklung.

URGH: Die ganze LP ist sehr straff und satt produziert. Einige Kritiker möchten euch jetzt gleich ein bißehen ins Heavy-Lager stellen. War das eine Idee des Produzenten zur Erschließung neuer Hörerkreise oder entspricht das euren eigenen Intentionen ?

OLEY: Wir hatten diesmal das ausgesprochene Glück, ein Produzententeam zu finden, das genau auf unserer Wellenlänge lag. Es ist schon unsere Entscheidung, die neuen Titel so zu erarbeiten, wie sie jetzt klingen. Wenn du DIE ART vom Anfang bis jetzt betrachtest, haben wir uns eigentlich immer etwas verändert, sprich entwickelt. Ich finde, man konnte uns noch nie in eine stilistische Schublade pressen, und kann es jetzt noch weniger. Und neue Hörerkreise bedingen meist den Verlust alter, so kann ich wohl davon ausgehen, daß man uns diese Unterstellung nicht machen kann. Natürlich sind wir froh, wenn sich das Spektrum der DIE ART-Liebhabererweitert, aber das planen wir nicht wie bei einem Kreuzzug.

URGH: Als kommender Tanzdielenfeger a la "Looking For My Mind" läßt sich das bereits live erprobte "Heer Litz" ausmachen. Melodische Assoziationen zu Iggy Fops "Passenger" werden bei mir wach. Gibt es da vielleicht thematische Parallelen? Und was, in aller Welt, bedeutet "Heer Litz" ?

OLEY: Nein, thematisch hat der Titel absolut nichts mit jenem Iggy-Pop-Song zu tun. Die Assoziation dazu ist wohl eher Zufall, andere haben mir schon was von The Cure unterstellt. Wenn du willst, kannst du fast alles in irgend eine Verbindung stellen, ohne daß diese tatsächlich besteht. Heer Litz als Titelzeile bleibt wieder mal unser Geheimnis, nur soviel sei gesagt, es hat nichts mit dem Text zu tun. Aber solche Spielchen betreibt die Band ja auch schon ein Weilchen, man denke nur an "Chrome".

URGH: Ausgewählte Kleinodien von CoverFassungen durchziehen die Art-Geschichte. Von dem Lennon-Jux mal abgesehen gab es da Songs von T.Rex, Patti Smith und nun eben "Diane" von Hüsker Dü. Ist das eine Verbeugung vor den amerikanischen Hardcore-Pionieren oder interessiert euch immer nur der Song "an sich" ? Wie und von wem werden solche Titel ausgewählt ?

OLEY: In erster Linie interessiert der Song. Das Stück klingt im Original wohl ein wenig wie ein DIE ART-Song von vor 2 - 3 Jahren, das hat wohl den Ausschlag gegeben. Erst in zweiter Linie interessiert die Band. Unsere Coverversionen schleppt meistens Christoph an, bei "Dancing Barefoot" war ich es, ich habe auch noch ein paar andere heimliche Favoriten, aber die Entscheidung, dann was daraus zu machen, fällt innerhalb der Band. So wie bei unseren eigenen Stücken auch.

URGH: Schaut man auf die internationale Independent-Szene, läßt sich konstatieren: Underground goes Dancefloor. Nun hörte und staunte man, auch dein Herz schlägt für Rave a la Happy Mondays. Wird es nun in absehbarer Zeit Oakenfold-Remixe von ART-Songs geben ? In welche musikalischen Zusammenhänge würde sich DIE ART heute selber stellen ? Gibt es überhaupt DEN Art-Hörer ?

OLEY: Dazu muß ich sagen: unter anderem. Das musikalische Spektrum meiner Vorlieben ist doch inzwischen recht groß. Ob Hardrock, Gruft oder Rave, mir behagt eben eine ganze Menge und bei den anderen Bandmitgliedern ist das ähnlich. Uns gemeinsam ist die Vorliebe für richtige Songs, mit prägnantem Aufbau und schönem Refrain. Und sowas findet man in jedem Lager. Ob es nun irgendwann einmal irgendwelche Remixe von DIE ART gibt, kann ich jetzt nicht beantworten. Interessant würe es schon, aber wichtiger ist, claube ich, selbst Neues anzubieten. Musikalisch gesehen sind wir wohl eine Gitarrenband, welche Richtung, lassen wir uns offen. Vielleicht wird ja die nächste Platte wieder ganz anders. Das beantwortet auch etwas die Frage nach dem typischen DIE­ART-Fan. Den gibt es so abstrakt wohl nicht. Wir haben zum Glück eine ganze Menge Fans, aber das bedeutet nicht, daß die nun bloß uns akzeptieren. Das würde uns auch festnageln auf eine bestimmte Erwartungshaltung, die wir nicht immer befriedigen können, denn in erster Linie machen wir die Musik, die UNS gefällt. Natürlich sind wir nicht so schwachsinnig, unsere Fans völlig zu verschrecken.

URGH: Vielen Dank für das Gespräch !