Die Skeptiker - Messitsch 2/1991

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Die Welt ist schlecht und gnadenlos. lrgendwie findet sich aber doch immer ein Ausweg. Das weiß auch Eugen Balanskat, um den sich seit einem knappen halben Jahr die zweite Besetzung der Skeptiker versammelt hat. Zwischen diesem neuen Start und einer für den Herbst geplanten zweiten LP hat Lutz Schramm den Caruso des Ost-Punk auf die Couch gesetzt.

Aus dem Innenleben eines Skeptikers

Eugen hat es noch nie leicht gehabt. Aber er macht es auch den anderen nicht leicht. Dafür gibt es auch keine Gründe. Wenn man mit Kritiker-Kollegen über die Skeptiker spricht, ist der Name Biafra in aller Munde, denn eine Ost-Kombo muß ja mit irgendwas vergleichbar sein. Wenn man mit den "Leuten auf den Konzerten" über die Skeptiker spricht, hört man Worte wie "ehrlich", "offen", "hart". Johannes "Noise Pollution" Waldmann schrieb mir gerade, daß im Jenaer Kassablanca eine Juke-Box steht, aus der vor allem Skeptiker-Songs dröhnen, wogegen das gute Gewissen des IndiePop natürlich schon wilde Ränke schmiedet.

Die "alten" Skeptiker haben sich 1987 zusammengefunden. Sie kamen aus Berliner Vorstädten und aus dem Friedrichshain und hatten die klare Idee, Punk zu spielen, ohne richtig Punk zu sein. Das war damals so schwer wie heute, aber es hat funktioniert und zwar überraschend schnell. Trotzdem war irgendwann der Punkt gekommen, an dem es nicht mehr weiter ging.

E. B.: Das Ganze hat sich auf einen Punkt zu bewegt, der für die anderen in der Band nicht mehr erträglich war. Also, meine Verhaltensweisen gegenüber den anderen. Wie sich das bei den anderen genau dargestellt hat, kann ich natürlich nicht sagen. Je bekannter die Band geworden ist, um so weniger konnte jeder Einzelne einsehen, daß da irgendjemand dominiert, denn man ist als Mitmusiker ja nicht besser oder schlechter als irgendein anderer. Ich hab früher immer gesagt: "Übt mal Gitarre, und ich kümmere mich um den Rest.", so daß alles den Aufgaben nach gut verteilt war. Am Ende war's dann aber so, daß ich mit den ganzen organisatorischen Dingen so sehr belastet war, daß ich alles andere auch irgendwie dominiert habe.

MESS: Also der Band-Diktator Eugen.

E. B.: Ja ... Und dann kam diese Mauerkiste, und wir haben uns gefragt: Was ist zu tun? Und die anderen Musiker haben sich entschieden zwischen eigenen Wegen oder der Weiterarbeit unter meiner Führung. Und sie haben den eigenen Weg gewählt.

Eugen war, von außen betrachtet, vor allem durch seine exponierte Stellung als Frontmann und Organisator derjenige, der die Band getrieben hat. Wenn ein Punkt erreicht war, freuten sich die Mitspieler noch, während er über das nächste Ding nachdachte. Man hat sich also entfernt, und das muß ganz natürlich zum Bruch führen.

MESS: Ist das bei den neuen Skeptikern anders?

E. B.: Ja! Das ist völlig anders. Jetzt hat jeder seine Aufgaben. Günter Spalda und ich fungieren als Kontaktpersonen nach außen, also den Firmen gegenüber oder zu den Medien, einfach, weil wir in der Vergangenheit schon Kontakte geknüpft haben. Entscheidungen finden aber mit allen Musikern statt.

MESS: Deine Vorherrschaft innerhalb der Band scheint auch Schuld an einem gewissen Mangel an Vielfalt im äußeren Erscheinungsbild der alten Skeptiker zu sein. Warst du an irgendeinem Punkt der Entwicklung damit unzufrieden?

E. B.: Ich werde öfter gefragt, was ich von der ersten Platte halte. Ganz einfach: Ich steh noch dazu, auch zu dem, was wir davor gemacht haben. Da würde ich jeden Titel wieder machen, ohne Abstriche. Aber, du hast es mal in einer Sendung gesagt: Wir haben eine Art Mauer errichtet, über die wir selber nicht mehr springen konnten. Da kam eben nur noch Tempo-intensives Zeug raus. Das Problem haben wir selber gesehen. Wir haben versucht, andere Sachen zu machen, haben es aber nicht gepackt...is' eben schwieriger als so 'ne Schrummel-Nummer, sozusagen. Die zweite Besetzung versucht, das Ganze weiterzuführen, ohne die Vergangenheit zu verleugnen. Deswegen heißen wir auch Die Skeptiker. Das hat nicht nur mit mir zu tun, es sind eben die Intentionen, die okay waren und es immer noch sind. Die Eintönigkeit der alten Sachen mußte geknackt werden, und die wird's auch so nicht mehr geben.

MESS: Ist der inhaltliche Gestus der Band gelegentlich auch von ihrem Image bestimmt worden, oder ist die Weitsichtder Songs immer ganz unverfälscht die Sicht deines Lebens.

E. B.: Optimismus ist nicht mein Ding. Ganz einfach. Ich bin auf der Schattenseite geboren, und dieses Gefühl habe ich total verinnerlicht. Das bewerte ich nicht, ich nehme es einfach zur Kenntnis und mach im Rahmen meiner Möglichkeiten etwas daraus.

MESS: Ist das ein Mangel?

E. B.: Mir wurde schon öfter vorgehalten, daß das Leben nicht so einseitig verläuft, wie ich es darstelle.Aber bei mir läuftes so, und wenn es jemand anders sieht, ist das sein Ding. Ich zwinge keinen, meine Ansichten zu teilen.

MESS: Aber es gibt ja verschiedene Arten, eine negative Weitsicht zu leben. Warum hast du die gewählt, wo du die Möglichkeit hast, es herauszuschreien?

E. B.: Es ist ja nicht so, daß ich kurz davor bin, aus dem Fenster zu springen. Es ist so, daß das, was mich kaputt macht, nicht zugelassen werden kann, daß man dagegen halten muß, um nicht irgendwann aufzugeben und zu sagen: Jetzt mach ich Schluß. Das ist immer so ein Aufschrei, in dem Sinne: Das könnt ihr doch mit mir nicht machen! Und unter diesem Aspekt pack' ich auch das Thema Gewalt an. Also, ich rufe nicht auf zu bürgerkriegsähnlichen Sachen ... Wenn man völlig in die Ecke gedrückt wird, daß keine Möglichkeit mehr besteht, sich miteinander zu verständigen und klar zu kommen mit diesem Leben, dann bin ich auch für die letzte Form der Selbstverteidigung, sprich für Gewalt.

MESS: Wenn man als Musiker beginnt, seinen öffentlichen Wirkungskreis zu erweitern, wenn mehr Konzerte, Rundfunkauftritte und Platten gemacht werden, verändert sich in der Regel die Erwartungshaltung des Publikums mit. Wie bist du damit umgegangen?

E. B.: Nachdem wir die ersten Konzerte gegeben hatten und das so völlig eingeschlagen ist, womit wir nicht gerechnet haben, haben wir das ziemlich schnell gespürt. Man hat sich kaum noch getraut, neue TItel zu machen, weil sofort die Angst da war, ob das dann nicht vielleicht schlechter ist, als vorherige Sachen. Aber ich denke, das kennt jeder, der irgendwie öffentlich präsentiert. Es gibt natürlich immer schöpferische Pausen, in denen einem sowieso nichts einfällt. Dann muß man wieder leben, und dann richtet sich das schon allein. Also, wenn man nur rumzieht und kein normales Leben mehr führt, nur noch von einem Konzertsaal zum anderen stürzt, dann ist man irgendwann wirklich in einer anderen Welt. Und das gibt dann schon Probleme.

MESS: Und wie gehst du mit den für das Publikum teilweise substantielleren Verantwortungen um? Wie reagierst du, wenn irgendein Typ aus dem Lande sich von dir, dem Sänger seiner Lieblingsband, die Welt erklären lassen will?

E. B.:Also, ich muß sagen, ich kann damitnicht umgehen. Wenn ich so normal durch die Straßen gehe, will ich nicht als Skeptiker erkannt werden ... ich bin einfach nicht da, eine ganz anonyme Person. Im Konzert und danach unterhalte ich mich mit jedem über alles, aber ... man ist doch kein Messias. Was man zu sagen hat oder zu geben, das passiert halt in den Konzerten.

MESS: Du hast vorhin von der Gefahr einer Entfremdung durch Erfolg gesprochen. Wie sehr bist du vor der Versuchung gefeit, den bequemen Verlokungen des Musikgeschäftes zu erliegen, wenn dann mal die dicken Plattenverträge und die ganz großen Hallen angesagt sind.

E. B.: Diese Verantwortung hat jeder sich selbst gegenüber. Da gibt's auch nichts drüber zu jammern. Ob man eine Sache, die man nichtwill, mit sich machen läßt, das hat man letztendlich selbst in der Hand. Das sehe ich ja jetzt schon bei diesem Kümmern um eine Plattenfirma. Die versuchen alle, einen so ziemlich unter die Fuchtel zu kriegen. Da muß man eben drauf achten, daß die eigenen Intentionen immer hundertprozentig gewahrt bleiben.

MESS: Das kannst du jetzt gut erzählen, weil du noch nicht in die entsprechende Versuchung gekommen bist.

E. B.: Im Gegenteil: Ich arbeite darauf hin, für das, was die Band erreichen will, die optimalen Bedingungen zu erreichen. Und wenn das mit einer großen Firma und viel Geld und viel Werbung geschafft wird, ist das okay. Der springende Punkt ist einfach, daß man sein Ding nach wie vor machen muß. Das ist ja eine Sache, die wir "früher" auch schon praktiziert haben: Man muß die Möglichkeiten und Instanzen soweit als möglich nutzen, um seine Vorstellungen zu verwirklichen.

MESS: Gibt es eigentlich immer noch die Spaltung der Szene in "echte" Underground-Kämpfer und "kompromisslerische" Anpasser, die wohl in der "Systemzeit" ihre Berechtigung hatte?

E. B.: Glaub ich nicht. Höchstens über dieses IndieMajor-Ding, was ja das gleiche Problem unter anderen Vorzeichen ist. Aber so krass, wie das "damals" war, sicher nicht mehr.

MESS: Und gibt es noch Ressentiments zwischen den Bands?

E. B.: Es gibt eben Bands, mit denen kommt man gut klar, und dann gibt es welche, mit denen macht man nichts zusammen.

Was ich übrigens für eine ausweichende Antwort halte. Das gegenseitige Unverständnis scheint immer noch zu bestehen, was wahrscheinlich für eine sowieso nicht absolut homogene Szene normal ist. Nächste Frage.

MESS: Gibtes im Moment Probleme zwischen Ostund West-Bands bei gemeinsamen Konzerten?

E. B.: Schickes Thema! Als die Grenze noch nicht offen war, haben DDR-Bands ja immer einen besonderen Status gehabt, man war sozusagen von der anderen Seite des Mondes zu Besuch, und es gab keine richtige Konkurrenz. Inzwischen gibt es diese Konkurrenz, und man streitet sich um die Position am Abend, was ja immer ein Problem ist, und es gibt Auseinandersetzungen um die Nutzung der Anlage. In diesem Fall kommt es dann aber zu komischen Konstellationen, daß die West-Band, nur weil sie eben aus dem Westen ist, sich als Hauptact versteht, obwohl das Publikum, sagen wir mal im HdjT, vor allem wegen der Ost-Band gekommen ist.

MESS: Wie kann man zur Zeit in den ehemaligen DDR-Läden spielen? Gibt es noch genug Auftrittsmöglichkeiten?

E. B.: Das scheint mir oft nicht vorrangig ein finanzielles Problem zu sein. Viele Klubs werden noch staatlich verwaltet und können sich den neuen Gegebenheiten noch gar nicht anpassen. Ich würde wirklich erstmal eine Menge von diesen Leuten verschwinden lassen, gerade in Leitungsfunktionen. Die Indie-Klubs, mit denen wir schon immer gut klarkamen, sind unproblematisch. Aber es gibt eben auch Läden, wo es gar nicht geht. Und da treten wir dann eben nicht wieder auf. Mit der neuen Besetzung müssen wir sowieso erstmal wieder die Runde machen. Da gibt es noch genug zu tun. Und die Konzerte sind irgendwie noch verrückter als früher. Die Leute sind oft richtig hart drauf.

MESS: Gibt es für Dich einen großen Unterschied zwischen der Problembewältigung früher und heute, oder ist da nur die andere Art der Probleme, die man im Prinzip auf die gleiche Art angehen kann?

E. B.: Früher wars gravierender. Jetzt ist es vielfältiger geworden. Ich bin mal gespannt, wie man auf die Platte reagieren wird. Da gibt's ja auch ein paar böse Finger drüben, die über bestimmte Dinge wachen. Aber das sehe ich erstmal nicht als Problem. Man freut sich ja immer, wenn man irgendeine dieser fließenden Grenzen ein Stück weitergeschoben hat. Das trifft auf "früher' und heute zu.

MESS: Wie weit wird sich die Musik der Skeptiker verändern?

E. B.: Es gibt ja jetzt schon die ersten Metal-beeinflußten Sachen ... Je nach dem, von wem die Idee kommt. Wenn Rudi, der Metal-Gitarrist eine Grundidee hat, dann wird der Titel halt auch so. Aber er ist ja nicht allein, und dadurch wird das immer wieder relativiert, und ein anderer Titel klingt halt wieder anders. Das macht ja dann die Vielfalt aus, nicht in Formvon Eintopf, denn die Generalrichtung bleibt ja bestehen.

MESS: Werden andere Bandmitglieder auch Texte schreiben? E. B.: Nö.

MESS: Gibt es einen Wunschproduzenten für die nächste Skeptiker-Platte?

E. B.: John Casery (Tote Hosen, King Candy, Neubauten ... ), ist aber zu teuer und ausgebucht.

Auf meine Frage, ob Eugen sich auch vorstellen könnte, nicht als Bandsänger, sondern als Gedichte-Schreiber seine Weitsicht zu offenbaren, sagte er nach einem seiner berüchtigten Lachstöße einfach Nein. Und es verstärkte sich ein weiteres Mal der Eindruck, den Eugen sicher gern bestätigt, daß dieser Typ an dem Rock'n'Roll-Ding mit seinen wichtigsten Lebensnerven hängt. .. Deshalb schützt er sich oft mit dem einfachen Rückzug auf die "interessiert mich nicht"-Position, was ich gut verstehen kann. Interessiert ist er übrigens weiterhin an diesem Musical-Projekt, und irgendwann wird es wohl mal eine Platte geben, auf der Eugen Balanskat beliebte Melodien von großen Stimmen aus den 30er, 40erJahren singt. Ob nun Indie-Pop-Waldmann an ihm seinen Grönemeier-Frust austobt, oder 1Sjährige Kids in ihm ihren Ersatz-Biafra sehen: Eugen wird wohl auch weiterhin sein Leben leben. Zu einem großen Prozentsatz in der Öffentlichkeit und, wenn es sein muß, mit dem Kopf durch die Wand. Gnadenlos.

Autor: Lutz Schramm