Küss mich auf mein Deutschland - Messitsch 6/1990

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Über Oh Yeah Lehrer und Oh Yeah Schüler und Oh Yeah Geschichte und Oh Yeah Crap! Von Lutz "Oh No" Schramm.

Oft sind es Dinge, die wir finden, aus der Vergangenheit heraufgespült, durch einen Zufall, und die uns dann an etwas erinnern, an andere Menschen oder vergangene Gedanken. Vielleicht wird Ritzo Idzikowski irgendwann einmal einen zerknitterten Zettel finden, auf dem der Text von diesem Strassenbahnlied steht, das er damals mit seiner ersten Band Sperrmüll gesungen hat und er wird sich im besten aller Fälle an dieses gute Gefühl erinnern, daß er verspürt haben könnte, als er diesen Text in ein billiges Mikrophon gebrüllt hat und ein paar Kids vor ihm haben mitgesungen: "...sonst steck ich Dich in die Zahlbox dazu... "

Heute spielt Ritzo die Gitarre bei Oh Yeah Crap! Vielleicht wäre alles auch ganz anders gekommen, es gibt so viele Zufälle. Was hätten die wilden Burschen von SPERRMÜLL getrieben, wenn ihnen nicht irgendwann einmal eine Lehrerin den Tip gegeben hätte: "Geht mal zum Kollegen Quittkat". Bernd Quittkat hatte damals gerade in einer Heinersdorfer Schule als Deutschlehrer angefangen und hatte wohl reichlich Spaß daran, diese jungen, unzufriedenen Schüler bei ihrem Theater-Projekt zu unterstützen. Kein Wunder, denn Bernd Quittkat hat früher selbst in einer Band gespielt. Eine der ganz frühen Punk-Kombos in Ost-Berlin, von der wohl auch Mark Modsen noch nichts gehört hat: DIE NACHBARN. Und damit sind wir schon mittendrin, in der Geschichte von Oh Yeah Crap!

Bernd: Wir haben die ganzen Sachen, als das so losging mit Punk, vor allem aus dem Radio gehört, Rock Over Rias und so. Dann habe ich meine Modelleisenbahn (!) verkauft und für 250,- M die erste Gitarre angeschafft Im Probenraum haben wir uns das Spielen beigebracht und sind dann in die Schulen gezogen. Irgendwie war immer die Hölle los und in der Regel war es so, daß wir in keiner Schule zwei mai gespielt haben, nachdem die Lehrer mitgekriegt haben, was da abging.

Aus dieser Sturm- und Drangzeit gibt es auch ein wohlbehütetes Tondokument, von dem sogar Ober-Guru John Peel kurze Ausschnitte aufgeführt haben soll. DIE NACHBARN gab es von 1978 bis 1980. Man trennte sich durch die üblichen Dinge: Armee, Studium ...

Die Arbeit mit den SPERRMÜLL-Kids und die Lage im Lande führte wohl dazu, daß Bernd wieder Lust auf Aktivitäten bekam. Es fanden sich schnell Gleichgesinnte: Grit Quittkat, auch Lehrerin und Bernds Frau, Olaf Bieräugel, Ex-NACHBAR und jetzt Oh Yeah Crap!-Drummer, Steffen Heinrich, Bassist und Clubleiter, sowie ein Gitarrist, der aber am 8. November (!) 1989 ins Wessieland zog und so Platz für Ritzo machte. Als sich Oh Yeah Crap! zusammenfand, war man eher noch unschlüssig, ob es mehr ein Literatur- oder mehr ein Musik-Konzept sein sollte, das man verfolgen will. Bei einer Scheuerecker-Ausstellungseröffnung im Juni 1989 trat dann die Rockband Oh Yeah Crap! an die Öffentlichkeit. Die Entscheidung war gefallen.

Diese Band ist, das stelle ich mal einfach so in den Raum, eine untypische ,Ost-Band'. Sie schaffen es, harte Song-Konstruktionen zu fabrizieren, ohne eine holpernde Punk-Kapelle zu sein. Sie schaffen es, Songstrukturen zu verschieben, ohne spröden Labor-Rock zusammenzupuzzeln. Sie sind unoptimistisch, ohne dabei die fatalistische leidensmiene des geknechteten Stalinismus-Opfers zu strapazieren. Oh Yeah Crap! sind sie selbst, sind Lehrer und Schüler gleichzeitig und scheinen das auch von ihrem, bislang noch nicht so zahlreichen Publikum zu verlangen.

Steffen: Ich glaube, daß unsere Musik in der Vergangenheit nicht das Glück an sich ausgestrahlt hat und sie wird das wohl auch in Zukunft nicht tun. Wir sind schon aus der kritischen Ecke. Es gibt dabei kein bestimmtes Konzept, nur persönliche, oder nur globale Probleme zu behandeln. Das ergibt sich aus ... dem Leben.

Bernd: Auf der anderen Seite sind wir keine Frust-Band. Unsere Konzerte sind eher spaßig. Es geht nicht um: Scheiß Welt, scheiß Berlin, scheiß Deutschland. Wir arbeiten mehr mit Sarkasmus, was dann auch gelegentlich zu Mißverständnissen beim Publikum führen kann. Es ist nicht immer ganz einfach mit der Ironie. Wahrscheinlich ist es doch klarer zu sagen: Nazis raus! und dann ist die Sache geklärt. Da weiß man wie die Fronten sind. Aber so seh' ich die Fronten nicht und deshalb sagen wir es so auch nicht

Oh Yeah Crap! gehört zu den Bands, denen die Veränderungen der letzten 12 Monate zu größten Teilen eher geholfen, als geschadet haben.

Ganz abgesehen von der größeren Bewegungsfreiheit, die bereits zu Konzerten im "Ecstasy" in Berlin-Schöneberg und in holländischen Klubs geführt hat, es ist jetzt erstmal einfacher, ganz frei von innerer und äußerer Zensur, seine Texte zu schreiben. Oder?

Bernd: Ich habe ,vorher' an sowas nicht gedacht. An Verklausulierungen oder so. Das waren halt die Sachen, wie ich sie sagen wollte. Die Texte von Vor-November-89 unterscheiden sich vom Gestus überhaupt nicht von dem, wie ich danach geschrieben habe. Aber sicher ist so etwas wie eine innere Zensur dabei. Ich hätte einen Song, wie "Viva Italia", mal abgesehen davon, daß das damals thematisch witzlos gewesen wäre, vorm 89er November nicht geschrieben. Aber Ich habe nie darüber nachgedacht, oder mit jemandem dagesessen und gesagt: das darf ich machen und das nicht.

Unbesehen kann ich ihm das glauben. Bei unserem Gespräch, das wir Ende September im Club 29 führten äußerte Bernd Quittkat Bedenken, ob man die berufliche Identität der drei Lehrer in der Band lüften solle. So verständlich ich solche Vorbehalte finde, so wichtig ist mir dann doch der Effekt, daß auf diesem Wege eine interessante Parallelität deutlich wird. Bernd und Grit sind Lehrer für Deutsch und Geschichte. Sie haben unter DDR­Verhältnissen ein entsprechendes Studium absolviert und einige Zeit Schülern nach Margots Lehrplänen die entsprechenden Stoffe beigebogen. Und sie haben eine Band gegründet, die noch im September 1989 diese obskure ,Einstufungs'-Prozedur durchlaufen hat. Aber sie haben beides mit Lust getan und glauben, wie ich finde zu vollem Recht, an die Redlichkeit ihres Tuns, denn sie haben aus dieser Situation, in beiden Fällen, mehr gemacht, als ihnen nach äußerem Anschein erlaubt gewesen wäre.

Und sie werfen auch jetzt nicht das Handtuch. Die Schüler der älteren Klassen sind erschreckend desorientiert ... die Lehrer haben auch ihre Probleme und nicht wenige, auf beiden Seiten, resignieren. Auch das scheint mir vergleichbar mit der Situation in der (Ost-)Deutschen Rock-Szene. Die fünf von Oh Yeah Crap! bleiben dabei und auch die Pauker unter ihnen lassen sich ihren Majakowski nicht nehmen. Und während die Deutschen nach Italien strömen, hocken Grit, Ritzo, Bern, Steffen und Olaf im Keller des C 29 und puzzeln ihre fünf Weltbilder in die Töne, die aus ihrer eigenen Geschichte dröhnen.

Autor: Lutz Schramm, November 1990