Tape Control Juni Juli 1992

Aus Parocktikum Wiki

Das Bandgewirr hat sich wiedermal auf meinem Schreibtisch aufgetrudelt. Die bewährte Kompaktkassette besticht durch Handlichkeit und Vielseitigkeit. Das trifft glücklicherweise auch auf die darauf gespeicherten Tonarten zu. Von der Punk-Compilation bis zum trüben New Wave Gewelle hat sich Allerlei eingefunden. Das Haus AGGRESSIVE PUNK TAPES hat schon vor ein paar Wochen, aber zu spät für den Redaktionsschluß der letzten Ausgabe zwei Sampler vorgelegt. Zum eine eine weitere Ost-Zusammenstellung. "Safari in Ostdeutschland" wird als Hardcore-Punk-Underground bezeichnet. Man findet neben bekannten Bands, wie Schleimkeim, Atonal und Keine Haftung auch neue Combos. Ganz reizend fand ich Coka Koma, eine junge Freiberger Hoffnung, deren knarzende Gitarren schon Freude machen. Das Tape hat, wie immer eine gewisse Dynamik in der Tonqualität, eben weil die einzelnen Stücke von jeder Band unter anderen Voraussetzungen eingespielt wurden. Auf dem Cover kann man wieder viele Bemrkungen, Texte und Adressen lesen und natürlich neben Kohl andere Prominenten Portraits bewundern. Auf dem zweiten aktuellen APT-Sampler wurde an Kohls Stelle Godzilla präsentiert. Alles andere ist fast identisch. Es handelt sich um einen internationalen Sampler: "Hell over the world". Andreas Göritz hat seine Lieblings-bands auf eine Kassette gespielt. Musik aus Japan, der Schweiz, Ost- und Westdeutschland, Brazilien und den Staaten (von Amerika!). Neben einer Livefassung von "Nazi Punks Fuck Off" der Kennedys finden sich die aufregenden Wortsts aus Brasilien, Kaltfront und Dritte Wahl, sowie einige schlichte Knüppler, wie Kurzschluß ausm Wessiland. Ein buntes Programm mit viel Kraft.

Ebenfalls von Andreas' Label aus Bernburg kommt jetzt die zweite Dead In Ohio Kassette, die der APTer in Lizenz vertreibt. Ich habe an dieser Stelle bereits über das zweite Band der Weißenfelser Band geschrie-ben: Neue und alte Sonx, teilweise deutsch getextet und mit spannenden Hardcore-Attitüden vorgespielt. Das Tape heißt "Sick".

Gitarristen und Gesangssolisten haben auch mal was auf die Bänder bekommen in diesem Monat. Da haben wir gleich zwei Tapes, von sehr unterschiedlichem Ansatz, allerdings. Der in Dorfchemnitz (O-9151) wohlbekannte Barde Stephan Gerlach hat in den Jahren des Systems mit seiner Band Wind, Sand und irgendwas seine Unterdrückungsängste kanalisiert. In kritischen Texten und etwas langweiliger Musik. Die Klampfennummer, wenn jemand weiß, was ich meine. Jetzt hat er in seinem Wohnzimmer mit zwei Freunden 6 Songs aufgenommen. Mit Gitarre, Banjo und Schüttelholz und erzählender Rocklyrik. In ihrer Schlichtheit sind diese Werke kaum zu überbieten...Lagerfeuer mit Ambitionen.

Eine andere Art von Intensität findet immer wieder der gute Steph... oh sorry: Steve Binetti. Nach der stillen, fast konspirativen Veröffentlichung seiner Zong-LP war ja lange Zeit nichts von ihm zu hören. Jetzt hat er sich wohl noch ein paar Hendrix-Bootlegs organisiert und sich an den heimischen Kamin gesetzt, um eine Kassette mit ganzen 14(!) Songs aufzunehmen. "14 Specials from far apricot area". Der Soundtrack für stürmische Aprilabende. Steve hat alles allein mit seiner Gitarre getan, denn dann ist er doch immer noch am besten. Und es ist alles ganz einfach und so dahingespielt, leicht und unaufdringlich. Aber eben auch nichts Überraschendes, wenn man erwartet, daß Hendrix auch nur eine Sekunde lang ignoriert werden sollte.

Noch einen Sampler gibt es aus Dresden. Jörg Löfflers ZIEH DICH WARM AN TAPES gibt uns einen weiteren Überblick über die Szene des Elbflorenz. "Dresden Today" ist dabei nicht nur eine Ansamm-lung neuer Aufnahmen von dort, sondern auch ein ziemlich krasses Bild von der Nachwende-Ostelb-Metropole, einer "Kulturstadt" die voller Gewalt steckt. Die gesammelten Bändz bieten vor allem Bewähr-tes. Die Namen sind bekannt: Need A New Drug, Crazy Horst, Fehlschicht und die Cowboys sind sichere Banken,was gute Musik aus Dresden angeht. Überraschend ist, daß es auf einem aktuellen Sampler Musik von Paranoia gibt. Jörg schreibt, daß sich die "alten Herren" mal bei einer Zitrolimo und etwas guter Laune zu einer kleinen Session getroffen haben. Für mehr ist keine Zeit, zumal Olaf wohl im Moment in Berlin lebt. Neben den Heroen finden sich natürlich auch relativ neue Namen. Über die Greedy Gods habe ich bereits in der letzten Ausgabe berichtet: guter Gitarrenstoff! Auch Easter haben ihr Fett schon weg. Aus der Knüppelfraktion kommen Bands, wie Lepra und S.W.A.N.T. und als Extras finden sich zwei Stücke von Jänz Dittschlag auf dem Band. Dresden zwischen Refomation und Neufindung... mehr wirklich Neues wäre eigentlich schöner.

Schöner, aber auch langweiliger sind dann die Songs der Magdeburger Band Sleepwalkers. Da darf der Name als Programm verstanden werden, auch wenn es sich nicht gerade um schlafwandlerische Sicherheit am Gerät handelt. Mehr so New Romantic bringen uns die jungen MusikantInnen und wissen da-bei ihren Epigonen nichts hinzuzufügen und eine Menge schuldig zu bleiben.

Die Ostberliner Band Tafel der Besten hat nur einen verblüffenden Namen. Die Sonx auf ihrem ersten Tape sind mehr beliebig und bei allem Schülerbandbonus, den ich hier mal prophylaktisch vergebe, nicht gerade sehr originell. Auch die West-Berliner Band Blue Toons hat eine Kassette mit Musik bespielt. Hier wird fröhlich zwischen Deep Purple und Scorpions gependelt und da und dort bei ...was-weiß-ich halt gemacht. Die haben übrigens, neben einem unwitzigen Country-Song, ein Stück, das heißt "Need a new Drug"... das hat aber wohl nix mit jener Band zu tun.

Mehr Tapes liegen mir im Augenblick nicht vor. Da ich wiedermal mit Liefern den Redaktionstermin überschritten haben, will ich den Text schnell abspeichern und zu den NMI/Messitschleuten bringen... Wenn morgen trotz Poststreik noch ein Tape ankommt, muß es zwei Monate warten.

Übrigens gibt es noch immer die Sendung "Parocktikum", wo immer noch hoffnungsvolle junge Bands aus Ost und West vorgestellt werden. Also schickt Eure Tapes. Am Besten gleich an Rockradio B, 1591 Potsdam. Mit besten Grüßen...

Lutz Schramm