X-Mal! Musik zur Zeit

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Konzertreihe in Berlin, gestartet 1986 im Kreiskulturhaus (KKH) Treptow, später auch in anderen Jugendklubs der Hauptstadt.

Die Idee und ihre Umsetzung kam aus einem Kreis von "Musikenthusiasten", die zu dieser Zeit relevante Positionen im FDJ-Kreisjugendklub "Pablo Neruda" auf der Insel der Jugend eingenommen hatten: Lars Wünsche (später auch Klubleiter), Ebi Fischel und Ronald Galenza. Ihr Anliegen, mit einem Musikangebot aktueller Trends aus Punk & New Wave sowohl aus der Konserve wie auch live ihr Publikum "abzuholen", fiel mit andernorts hinter verschlossenen Türen getroffenen kulturpolitischen Erwägungen zusammen. Mit Angeboten statt Verboten wollte man die DDR-Jugend zurückgewinnen oder zumindest deren subkulturelles Abdriften kontrolliert begrenzen. Die unverhofft gewährten Freiräume füllte das Insel-Team mit zwangsläufig quotenbefreiten Indie-Diskotheken, Musik-Vorträgen und Bandporträts (die aber nach kurzer Zeit mangels Publikumsinteresse wieder eingestellt wurden), sowie vor allem einer offenen Bühne für einheimische Bands der neuen Szenen. Schon im Frühjahr 1986 suchte man diesbezüglich den Kontakt zu Lutz Schramm, den zeitgleich (März 1986) auf der Bildfläche erschienenen Parocktikum-Impresario, und nutzte Synergien zum beiderseitigen Vorteil. Schramm sorgte für die rasche Bekanntheit des X-Mal!-Programmes und empfahl dem Team zahlreiche auswärtige Neutöner, die sich bei ihm mit Demo-Tapes gemeldet hatten. Im Gegenzug partizipierte er vom Ruf und Flair des neuen Klubs und erhielt z.B. in Form der mit der Salzwedeler Düsterband Rosengarten im Dezember 1987 in Treptow aufgezeichneten Parocktikum-Session exklusives Sendematerial.
Bei der Akquise für ihre regelmäßigen Konzerte nutzten Wünsche & Co. erstaunlich ähnliche Methoden wie die seit 1984 in Leipzig tätige IG Rock. Über ein Kontaktenetzwerk wurden Bands erreicht, die sich gerade erst im Proberaum eingerichtet hatten und so konnte man viele Talente als erste präsentieren. Auch für das DDR-interne Problem mit den obligatorischen staatlichen Spielerlaubnissen wurde ein Workflow geschaffen. Jungen Bands wurde eine Ausnahme-Auftrittsgenehmigung besorgt und das folgende öffentliche Konzert für eine "Einstufung" genutzt. Danach stand, bei entsprechend beiderseitiger Geschmeidigkeit, weiteren Auftritten nichts mehr entgegen. Natürlich blieb damit der oppositionell eingestellte Teil der Punkgemeinde außen vor: als Lars Wünsche auch im "Leichenkeller" der Erlöserkirche für sein Etablissement nach frischen Bands nachsuchte, erhielt er eine Abfuhr.
Das Selbstbewusstsein des X-Mal!-Teams schloß selbstredend auch die Präsentation authentischer, also westlicher Interpreten mit ein. Bei der Debütveranstaltung am 23. Februar 1986 war der Coup gelungen, den britischen Punkliedermacher Billy Bragg vom "Festival des Politischen Liedes" gewissermaßen "abzuzweigen". Und bald danach segelten die westdeutschen Noise-Piraten KIXX unter der unverfänglichen Jazz-Flagge durch das nach Soundexzessen hungernde Konzertpublikum. Doch erst ab Herbst 1988, nachdem sich internationale Superstars wie Joe Cocker, Bob Dylan, Depeche Mode oder Bruce Springsteen in Ostberlin die Klinke in die Hand gaben, wurden auch ein paar Devisen für die abgespeckte Independentversion freigegeben, die meisten kamen dennoch über Musikerkontakte kostengünstig aus dem benachbarten Westberlin.
Mit der Mauer fielen alle Beschränkungen, gleichzeitig fluteten tausende Rockklangkörper den musikalisch ausgezehrten und noch immer unerfahrenen Osten und der kulturelle Konkurrenzdruck zog heftig an. Im Jahr 1990 veranstaltete X-Mal! mehr Konzerte als in allen vier Jahren zuvor zusammen, aber weniger als die Hälfte wurden nun mit Ostberliner oder ostdeutschen Bands bestritten. Anfang 1991 wurde die Konzertreihe eingestellt.

Netzinfo: beat-poet.de | www.rockinberlin.de | Galenza / Havemeister, S.265ff.

Konzerte