Wutanfall
Legendäre Punk-Band aus Leipzig, ca. 1981 bis 1985.
Obwohl die öffentliche Wirkung der Band objektiv gesehen gering war (kaum Auftrittsmöglichkeiten, Konzerte in engsten Fankreisen, nur durch Mund-zu-Mund-Werbung bekannt gemacht), setzten schon kurz nach Gründung Repressalien durch Polizei und MfS ein. Unter zunehmendem Druck verliess Sänger Chaos 1983 die Band (initiierte danach mit Zappa das Projekt Pfff...) und wurde durch "Stracke" ersetzt. Imad gründete zur gleichen Zeit mit Ratte parallel HAU (= Halbgewalkte Anarchistische Untergrundorganisation), Stracke sang einige Zeit in beiden Gruppen. Ein Großteil der Texte stammte von Ray Schneider, der kein Bandmitglied aber mit einigen der Musiker freundschaftlich verbunden war. Seine Zusammenarbeit überdauerte die Umbesetzungen und Umbenennungen bis 1989, in dieser Zeit wurde von ihm z.B. der Klassiker "Leipzig in Trümmern" zweimal textlich neu bearbeitet.
Mit der Umbenennung von HAU zu L'Attentat und deren deutlicherem politisch oppositionellen Selbstverständnis löste sich Wutanfall bis 1985 allmählich auf. Schlagzeuger Rotz bildete ab 1985 mit Zappa eine Hälfte von Delta Z, aus denen kurze Zeit später HerTZ entstand. Sänger Bernd Stracke wurde u.a. vom MfS verhaftet, inhaftiert und später in den Westen abgeschoben. Nach der Wende kam heraus das Imad Abdul-Majid selber bezahlter IM der Stasi war und Bernd Stracke ans Messer geliefert hatte. Auch Bassist Zappa (Ausreise 1986) wurde als IM geführt.
Technische und musikalische Unterstützung erhielten L'Attentat vom Leipziger Rockmusiker Peter "Cäsar" Gläser (ex- Renft), dessen Sohn Robert anfangs bei ihnen Schlagzeug spielte. Eine feste Besetzung bildete sich nach Strackes Ausreise schließlich mit Imad, Ratte und Perry später dann Reudnitz und Klemmi, in dieser Besetzung entstanden auch die Aufnahmen zur LP "Made in GDR", die 1987 bei einem westdeutschen Hardcore-Label erschien. Alle Mitglieder der Band hatten zu diesem Zeitpunkt bereits Ausreiseanträge laufen. 1988 trennten sich Ratte und Reudnitz von Imad, der mit neuen Musikern aber noch eine zweite Inkarnation von L'Attentat auf die Beine stellte, bevor er 1989 die DDR verlassen konnte. Der in Leipzig verbleibende Rest der Band benannte sich um in Der Schwarze Kanal und bestand bis 1991 als feste Band. Danach kam es immer wieder zu sporadischen "Re-Union" Auftritten, bis 2003 sogar eine reguläre LP inklusive Hits der Anfangsjahre erschien.
Musiker vom Schwarzen Kanal spielten in den 90ern u.a. bei D.M.B., Snuff Your Feet, Up In Arms, Believe In Falter, S.U.F.F. und später bei Agent Krüger.
Im Vorfeld der Wanderausstellung "Ostpunk! Too Much Future" wurde eine Teil-Reunion von Wutanfall / L'Attentat in Person von Bernd Stracke und Maik "Ratte" Reichenbach zusammen mit ex-Musikern der Berliner Ur-Punks Planlos und Namenlos unter dem Namen Ex-Cert initiiert, die 2005 unter anderem eine aktuelle Version von "Leipzig in Trümmern" auch auf eine Berliner Bühne brachten.
Stracke saß, diesmal zusammen mit Thomas "Reudnitz" Hentschel, für den 2011 veröffentlichten Dokumentarfilm "Besser Anders - Leipziger Subkulturen zwischen Rebellion und Anpassung" (neben Donis, Holger Oley und anderen) erneut vor der Kamera, im Soundtrack waren wiederum Songs von Wutanfall, L'Attentat, Der Schwarze Kanal sowie von Defloration zu hören.
Am 3.Oktober 2014 fand schließlich ein (einmaliges) Re-Union Konzert der nahezu kompletten L'Attentat Mannschaft (verständlicherweise ohne IM-ad) im UT Connewitz statt, das Vorprogramm bestritten der Schwarze Kanal (im Prinzip L'Attentat ohne Stracke!), die polnische Punk-Legende Dezerter und der Leipziger Punk-Chor. Das Konzert unter dem Motto "Warschauer Punk Pakt revisited" wurde zum Beginn einer Mini-Reihe die im Mai 2017 mit "Warschauer Punk Pakt" fortgesetzt und im Dezember 2017 als "Warsaw (Post) Punk Pact" abgeschlossen wurde.
Besetzung
Wutanfall (1981 - 1985)
- Chaos (Jürgen Gutjahr) - voc (bis 1983)
- Stracke (Bernd Stracke) - voc (ab 1983)
- Typhus (Andreas Schmits) - g
- Imad (Imad Abdul-Majid) - g, voc (bis 1983)
- Zappa (Frank Zappe) - bg
- Rotz (Uwe Plociennik) - dr
L'Attentat (1983 - 1989)
- Stracke - voc (bis 1985, Ausreise)
- Perry Lütke - voc (bis 1987)
- Imad - g (bis 1989, Ausreise)
- Reudnitz (Thomas Hentschel) - g, voc (bis 1988)
- Ratte (Maik Reichenbach) - bg (bis 1988, Ausreise)
- Robert Gläser - dr / später Klemmi (Clemens Rebbelmund) - dr
ab 1988 mit:
- Roman (Roman Jagoszinski) - bg
- Mayer (Eduard Mayer?) - g
Der Schwarze Kanal (1989 - 1991 ff.)
- Reudnitz - g, voc
- Roman - bg
- Mayer - g
- Klemmi - dr / Enne (Endrik Meyfarth) - dr
später u.a. mit:
- Jose (Jens Schossee) / Gerste (Uwe Gerstenberger, ex- Reinfall) / Flügel - dr
- Wally - g
- Nico - g
Musik
Wutanfall
- 1981 (?): Leipzig in Trümmern (Tape)
- 1986: Tomorrow, auf: "DDR Punk" (Tape Compilation, Funafuti Tapes)
- 1990: Big Brother / Schlag doch zu / Jetzt erst recht / Harte Arbeit, auf: "Die Schuld der Väter" (Tape Compilation, KomistA Verlag)
- 1991: Schlag doch zu, auf: "DDR Störfaktor" (Tape Compilation, Aggressive Punk Tapes)
- 199?: Schlag doch zu, auf: "Gegen das Vergessen, dem Alptraum entgegen!!!" (Tape Compilation, Wahnfried Records)
- 2003: Schlag doch zu, auf: "Saxony Punk Rock History 1983 - 2002" (Tape Compilation, Zeckenzucht Records ZZR 10)
- ????: Schlag doch zu, auf: "Randale Saufen Ostmuschis - Der letzte Teil" (Tape Compilation, Elbtal Records 020)
- ????: Tomorrow, auf: "Rar und Unveröffentlicht / DDR Punk 80-89" (Tape Compilation, Robin Hood Tapes)
- 2008: Wutanfall / Messestadtpunk, auf: "Ostpunk! Too Much Future" (DVD, good!movies)
- 2017: Wutanfall (CD Compilation, Buchbeilage)
HAU
- 1986: Bullenschweine / Wann ist es denn soweit? / Bürgerkrieg, auf: "DDR Punk" (Tape Compilation, Funafuti Tapes)
- ????: Wann ist es denn soweit?, auf: "Rar und Unveröffentlicht / DDR Punk 80-89" (Tape Compilation, Robin Hood Tapes)
L'Attentat
- 1986: Laßt uns singen, laßt uns tanzen / Bürgerkrieg / Ich bin ja so feig / Afghanistan / Leipzig in Trümmern / Camping am Müggelsee / Marmor Stein und Eisen bricht, auf: "DDR Punk" (Tape Compilation, Funafuti Tapes)
- 1986: Live in DDR (Tape, Schweiz)
- 1987: Made in GDR (LP, X-Mist Records XM 006)
- 1989: Leipzig in Trümmern, auf: "Tour de Farce, Part Three" (LP Compilation, Empty Records MT 063)
- 19??: Heimatlied, auf: "Meine Heimat der Osten Vol.2" (Tape Compilation, Heimat Kassetten)
- 1991: Made in GDR (Tape Re-Issue, Trash Tape Rekords TTR 27)
- 1994: Made in GDR (CD Re-Issue, Lost & Found Records LF 079)
- 1996: Leipzig in Trümmern, auf: "Aus deutschen Kellern III" (Tape Compilation, Müll Tapes No.10)
- ????: Lederjacke, auf: "Rar und Unveröffentlicht / DDR Punk 80-89" (Tape Compilation, Robin Hood Tapes)
- 200?: Ohne Sinn, auf: "Gelegenheit macht Diebe!!!" (Tape Compilation, Zeckenzucht Records ZZR 4)
- 2003: Heimatlied, auf: "Saxony Punk Rock History 1983 - 2002" (Tape Compilation, Zeckenzucht Records ZZR 10)
- 2004: Made in GDR (LP Re-Issue, Major Label ML 010 / SM Musik SM 000)
- 2008: Friedensstaat, auf: "Ostpunk! Too Much Future" (DVD, good!movies)
- 2014: Leipzig in Trümmern / Linke Ecke, rechte Ecke / Camping am Müggelsee (7"EP, Major Label ML 075)
- 2016: Linke Ecke, rechte Ecke, auf: "Ende vom Lied: East German Underground Sound 1979 - 1990" (CD Compilation, play loud! productions pl-67)
Der Schwarze Kanal
- 1995: Faschismus / Sacco & Vanzetti / Südafrika / Solidarität, auf: "Grüsse von der Ostfront" (Bonus 7"EP, Halb 7 Records HALB 5b)
- 2003: Der Schwarze Kanal Leipzig (LP, Eigenproduktion | Re-Issue LP, Super Kamiokande Detector SKD 003 / SM Musik SM 007, 2007)
- 2006: Faschismus, auf: "Deutschpunk Gewitter II" (CD Compilation, Nix Gut Records)
- 200?: Todesschwadron, auf: "Gelegenheit macht Diebe!!!" (Tape Compilation, Zeckenzucht Records ZZR 4)
- ????: Schwarz Rote Fahnen, auf: "Rar und Unveröffentlicht / DDR Punk 80-89" (Tape Compilation, Robin Hood Tapes)
Literatur
- Interviews mit Chaos, Bernd Stracke und Ray Schneider in: "Haare auf Krawall. Jugendsubkultur in Leipzig 1980 bis 1991" (Connewitzer Verlagsbuchhandlung 1999)
- "Wutanfall. Punk in der DDR 1982 bis 1989. Die Protagonisten damals und heute", Bildband von Christiane Eisler