1.Punkfestival der DDR

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Nach dem ersten in Halle veranstalteten Punk-Konzert, bei dem am 19.Juni 1982 die Bands Wutanfall (Leipzig), Schleim-Keim (Erfurt) und Größenwahn (Halle) in der Lutherkirche auftraten, entwickelte sich die Saalestadt zu einem Kristallisations-Zentrum der sich vorsichtig vernetzenden Szene in der DDR, wobei hier sicher die Möglichkeit eines Treffens auf "neutralem" Grund z.B. für die Berliner und Leipziger Punk-Fraktionen eine Rolle spielte.
In dieser "Aufbruchs-Atmosphäre" planten darum längerfristig mehrere Protagonisten des Punk-Untergrund für den 30.April 1983 eine größere Veranstaltung mit entsprechend überregionalerer Magnetwirkung. Im Mittelpunkt der Organisation standen Moritz Götze von Größenwahn und die gleichfalls aus Halle stammende Sängerin Jana Schloßer, die mittlerweile als Frontfrau der Berliner Punkband Namenlos eine regelrechte Szene-Berühmtheit geworden war. Durch den Kontakt mit dem Stadtjugendpfarrer Siegfried Neher konnte die Christuskirche als Veranstaltungsort gewonnen werden, Moritz kümmerte sich um deren Gestaltung und Ausstattung als Konzertsaal, Jana nutzte ihre Kontakte zu den Bands. Pfarrer Neher und seine Kirche hatten gleichfalls schon "Erfahrung" mit Punk, da in ihren Räumen die Eislebener Band Müllstation probte.
Das auf Götzes berühmtem Plakat als "Evangelischer Jugendabend" angekündigte Event ging schließlich mit insgesamt sieben Bands über die Bühne:



Welche dieser Bands tatsächlich geplant aufgetreten sind oder durch übereifrige StaSi-IM's identifiziert werden konnten weil deren Musiker als Fans sowieso präsent waren, lässt sich nicht mehr vollständig klären, was aber auch zweitrangig scheint. Alle im Nachhinein befragten damals Beteiligten beschreiben das "Festival" als naiv-kreativen Kollektiv-Rausch zwischen anarchistischem Charme und den szeneüblichen Alkohol-Orgien, gleichzeitig markierte es in mehrfacher Hinsicht einen Endpunkt der Unschuld dieser Entwicklung: einerseits mündeten die üblichen Rivalitäten der verschiedenen Großstadt-Punkercliquen wenig später in eine nicht mehr zu übersehende Spaltung der Bewegung in rechtsradikale Skinhead-Punks und eher links-orientierte Anarchos; andererseits bildete die Verhaftung aller Namenlos-Musiker durch die Staatssicherheits-Organe im August 1983 den Auftakt zu einer in den Folgejahren generalstabsmäßig geplanten (wenn auch nie ganz gelungenen) Zerschlagung der gesamten Punk-Szene der DDR.
In Halle beantwortete man diese Entwicklung mit der Planung eines weiteren DDR-weiten Punkertreffens am 22.Oktober 1983, wieder in der Christuskirche. Die Organisatoren Götze und Pfarrer Neher planten diesmal eher ein Kommunikationsforum, mit einem Theaterstück und einer Ausstellung in den Kirchenräumen, geplant waren aber auch wieder Konzerte u.a. von Schleim-Keim und Müllstation deren Auftritte aber durch massive Polizei-Aktionen an neuralgischen Punkten wie dem Hauptbahnhof und in der gesamten Hallenser Innenstadt offensichtlich verhindert werden konnten. Die für das ansonsten doch als Erfolg zu verbuchende Punkertreffen obligatorische Musik wurde schließlich von trotz aller Gegenmaßnahmen anwesenden Fans und Musikern improvisiert...

Literatur

  • Mark M. Westhusen: Zonen Punk Provinz. Punk in Halle (Saale) in den 80er Jahren (Verein Zeitgeschichte(n) e.V., 2005)