Das Auge Gottes - NMI/Messitsch 4/1993
So isses Baby, oder doch so ähnlich
Ganz allmählich scheint der Ostdeutsche Norden sich auch aufzudröseln. Das soll kein Vorwurf sein. Es ist schlicht die Feststellung einer Katastrophe. Der dünnbesiedelte Landstrich zwischen Elbe und Oder kämpft nicht nur mit einem rapiden Niedergang seiner (Land)Wirtschaft, auch die Aktivitäten auf kulturellen Pfaden liegt allenthalben brach. Da hat natürlich auch die Gegenkultur, als die sich Popmusik doch irgendwie immer noch begreift, keine Chance. Damit könnte man es bewenden lassen. Aber das ist dann doch zu wenig. Halten wir die Nase in den Wind und hören mal ein bissel rum.
Schwerin war zu DDR-Zeiten eine mittelgroße Bezirkshauptstadt. Die Siedlung um den wunderschönen See, mit dem wunderschönen Schloß gab sich geruhsam, erhaben. Es dümpelte im sozialistischen Gang vor sich hin. Als dann, am Ende dieses Ganges alles anders wurde, änderte sich hier kaum was. Schwerin wurde Hauptstadt eines neuen Landes und mutiert zielstrebig zur mecklenburg-vorpommerschen Beamtenzentrale. Und wenn es wieder Frühling wird, kreisen die gut bezahlten Damen und Herren in der Mittagspause um den See und der Kleinhandel floriert über die Woche... Wochenendes ists dann tödlich ruhig, denn die BeamtInnen sind zu Hause, in Schleswig oder Holstein. Und doch leben noch SchwerinerInnen hier. Denen geht's wie allem im Osten: einerseits besser, andererseits schlechter.
Und hier beginnt die Geschichte vom AUGE GOTTES.
Ganz am Anfang gab es Zwei Bands mit Namen NACKT DURCH KAIRO und DAS ELEGANTE CHAOS. Das ging eine Weile hin und her; mal hat der da und der dort mitgespielt und nach einer Weile haben die vier Übriggebliebenen DAS AUGE GOTTES gegründet. Erstmal ohne "richtigen" Schlagzeuger, sondern mit einem dieser kleinen japanischen Kästchen. Überhaupt waren die Veränderungen technischer Geräte mindestens genau so bestimmend für das, was die Band ausmacht, wie die personellen Wechsel. Zum Beispiel wurde schon immer beim AUGE GOTTES gescratcht.
"Ganz am Anfang haben wir selbst gescratcht. Ich weiß nicht genug, das war ein Plattenspieler aus den 50er Jahren...Da haben wir die Platten festgeschraubt am Teller..8er Bolzen durch... Das erste Keyboard war so ein Kinderspielzeugding. Da konnte man auch mit sampeln. Einmal "Hu!", also etwa eine Sekunde oder so. Das war aber ganz interessant. Zum Teil besser als jetzt mit nem richtig guten Sampler. Und das mit dem Drumcomputer hat unseren Sound ziemlich bestimmt. Wir sind von Anfang an davon ausgegangen, daß man damit kein Schlagzeug ersetzen kann. Und dadurch haben wir das Gerät so eingesetzt, daß man merkt es ist ein Computer. Das waren dann Sachen, die kein Schlagzeuger spielen würde und dadurch schon ganz interessant."
Das alles ist nun gut zwei Jahre her. Anfang 1991 holten sich die göttlichen Späher einen richtigen Turntable-Artisten und auch Keyboard und Schlagzeug wurden offiziell besetzt. Das was wir heute von der Band erleben können, hat sich aus den alten Ideen, unter neuen Bedingungen entwickelt. Daß die Schweriner nun gerade zu einer Zeit, in der deutscher Sprechgesang ganz trendy ist so nachhaltig auf sich aufmerksam machen, ist einerseits kein Zufall, andererseits davon unabhängig.
Vor Jahresfrist waren wir alle baß erstaunt, wie wundervoll deutsche Junglyrik auf krachigen Gitarren klingt (Blumfeld undso). Dann waren alle ganz entzückt über gerappte deutsche Sprache und cool groovendes Soundmaterial dazu (Phantastische 4). Beides verbindet sich jüngst zu "deutschem Hip Hop" (Mastino, Advanced Chemistry undsoweiter). Dabei spielt die Lust am zeitgemäßen Geist und dessen tanzender Beweglichkeit eine wichtige Rolle. DAS AUGE GOTTES hat sich, in östlicher Abgeschiedenheit, ganz gelassen mit sich selbst beschäftigt und stellt nun verwundert fest, daß da ein absolut trendkompatibles Konzept vorliegt. Sogar kurz vor dem Trend, denn wenn keiner mehr so recht Lust auf den synthetischen Groove aus den House/Techno-Küchen dieser Zeit hat, wird man sich unweigerlich dem traditionellen Instrumentarium zuwenden. ... Und tun das nicht schon viele, wie Mastino oder A Tribe Called Quest? Diese Erklärungen hier nur für jene, die immer den Bezug zum Trend brauchen. Hier hast Du ihn.
Damit sind wir endlich auch bereit für diese Feststellung: DAS AUGE GOTTES ist kein deutscher Hip Hop. Schon bei der Suche nach den Pflicht Attitüden bleiben wir ohne Ergebnis auf der Strecke: Keine Basecaps, keine Turnschuhe, nix.
"Die B-Boys rennen auch immer raus. Wenn die da sitzen, zugemummt...beim ersten Titel sind die weg. Wir haben mal versucht, konsequenter in diese Richtung zu gehen, haben aber bald festgestellt, daß es auf die Dauer langweilig ist, immer nur mit Loops zu arbeiten... Deshalb wollten wir dann auch wieder einen Schlagzeuger haben. Es kommt doch mehr Spielfreude auf, wenn das Instrumentarium da ist. Und dann ist niemand von uns so drauf, daß er es gut findet auf der Bühne zu Tanzen oder ganz bedeutungsvoll eine Message zu zelebrieren."
Und trotzdem hat DAS AUGE GOTTES eine Botschaft. Die läßt sich freilich nicht in zwei Sätze pressen. Das wäre auch weniger aufregend. Plattheiten sind tabu. Keine Nazis raus, weil das schon ansich nicht richtig ist. Und über die guten Texte muß man schon auch mal eine Weile nachdenken. Genau das scheint es zu sein, was viele an dieser Band begeistert. Die Fangemeinde kennt schon einige "Prominente": Arne von Trash City Records aus Berlin, "City"-Gitarrist Fritz Puppel und natürlich Uli Salzmann von D.D.R. in Lübeck, der die Band mit einem Vertrag beglückt hat. Nach ihrer ersten Single soll es noch im Frühjahr ins Studio gehen, damit im Herbst die komplette LP da ist.
Die Schweriner Musiker waren mit dem Produktionsteam zufrieden. Allerdings hält die Plattenvariante ihrer Songs lange nicht dem Live-Vergleich stand. Das ist ein Problem vieler Studiodebütanten: Der Dampf ist nach dem 60. Overdub raus. Und auch Produzenten müssen das 100%ige Gefühl für eine Band finden. Die Klangmenge, die DAS AUGE GOTTES live über die ZuhörerInnen ausschüttet muß im Studio eigentlich neu erschaffen werden. Und das können nur wenige. Die meisten ähnlichen Projekte arbeiten ja auch umgekehrt. Da wird erst im Studio experimentiert und dann versucht, alles auf die Bühne zu bringen. Das scheint mir hier noch eine Frage der Zeit zu sein. Solange sollten sich alle Beteiligten nach einem wirklich guten Produzenten umsehen (Boa?).
Der Umstand, daß sich jetzt einiges tut, im Leben der Band, bringt die sechs jungen Männer nicht aus der Ruhe. Natürlich üben sie jetzt etwas öfter und denken sich auch ein paar neue Songs aus...
"Wir kümmern uns jetzt um Plakate und all die Dinge. Das ist schon ein kleiner Antrieb. Schließlich war es schon ein paar mal kurz vorm Abnippeln. Wenn man merkt, daß es irgendwie gut ankommt, oder sich Leute dafür interessieren, dann fordert das doch schon ein bißchen mehr. Aber so einfach, wie man sich das früher vorgestellt hat läuft es doch nicht. man muß mit denen und denen verhandeln und bis dann die Platte erscheinen kann, dauert es doch seine Zeit. Jedenfalls scheinen wir gerade irgendwie im Trend zu liegen, ohne eigenes Zutun und das ist schon ganz angenehm. Aber das kann ja auch ganz schnell kippen. Da muß man sich nicht zuviel drauf einbilden."
Diese Aussage wird mit der gleichen Bedachtsamkeit getroffen, mit der scheinbar alles beim AUGE GOTTES aufläuft. Die Musiker beim Soundcheck zu beobachten war schon ein besonderes Erlebnis. Kaum mal eine schnelle Bewegung, kein lautes Wort und vor allem keine Ungeduld. Bei ihrem Insel-Auftritt im Februar wurden sie von Fidel technisch betreut. Und der ist kein Stümper, wie bekannt ist. Trotzdem lief nicht alles sofort, wie das so ist im Leben. Aber wie gesagt: keine Hektik, keine Nervosität. DAS AUGE GOTTES watcht over allem mit göttlicher Ruhe. Da kann man nur hoffen, daß sie sich diese Ruhe bewahren, bei dem, was ihnen wo möglich bevorsteht.
Und auch das ist von Wichtigkeit, wenn über DAS AUGE GOTTES berichtet wird. Ihr Stilgemisch von Rap und traditionellem Rock verzweigt sich in viele Nebenwege, die einem Song für Song immer aufs neue komprimiert, entgegen geschleudert wird. Body Count und Led Zeppelin, der frühe Boa und der späte Biafra und manchmal eine kleine, verbeulte Trompete. Da bin ich mal gespannt, was noch so alles drin ist.
Lutz Schramm
P.S.: In einem "Zitty"-Artikel über den Hallo13-Sampler wurde ein "Doctor John" zitiert, der angeblich vom Auge Gottes stammen sollte. Die Band stellt ausdrücklich fest, daß es nicht nur keinen Doctor John bei ihnen gibt, sondern, daß auch die Aussagen über andere Bands aus dem Osten nicht der Meinung der Band entsprechen.