IG Rock

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Die "IG (Interessengemeinschaft) Rock" war ein seit 1981 in Leipzig aktiver Zusammenschluß semi-professioneller Akteure, die mit wechselnden Konzepten vor allem die Gestaltung und Größe der Live-Rock-Szene der Messestadt in den 1980ern wesentlich geprägt haben.

Nach den Gesetzmäßigkeiten in der DDR war eine so konzipierte öffentliche Tätigkeit nur durch die Anbindung an eine der sogenannten "Massenorganisationen" möglich. Obwohl für diese Rolle die "Freie Deutsche Jugend" (FDJ) prädestiniert gewesen wäre und Funktionäre der Jugendorganisation in die Planung der "IG Rock" involviert waren, wurde sie schließlich als lokale Sektion des "Kulturbund der DDR" (KB) gegründet. Ob dieses Konstrukt im Hinblick auf eine demonstrative "System-Ferne" gewählt wurde, ist nicht eindeutig belegbar. Deutlich erkennbar ist hingegen der Trend, die "IG Rock" in der Wahrnehmung ihrer avisierten Zielgruppe, den rock-affinen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, als autonomen Akteur darzustellen. In die Arbeit involvierte Organisationen wie die FDJ, die Konzert- und Gastspieldirektion (KGD, monopolistisch und zentralistisch aufgestellter Konzertveranstalter in der DDR) und auch der Kulturbund selbst wurden dabei nur am Rand oder gar nicht sichtbar gemacht.
Zunächst trat die "IG Rock" mit relativ konventionellen Konzert-Angeboten in die Öffentlichkeit, die Veranstaltungen "Rock-Spectrum" I + II (1981) präsentierten namhafte Bluesrock- und Artrock-Interpreten der DDR, bei weiteren Ausgaben von "Rock-Spectrum" (1982 und 1983) wurden zeitgemäßere Vertreter der ostdeutschen NDW wie Scheselong oder Juckreiz und als authentisch akzeptierte Szene-Rockbands wie Keks, Pankow, Rockhaus oder NO55 auf Leipziger Bühnen gebracht.
Ab 1984 verlagerte sich das Betätigungsfeld der "IG Rock" fast vollständig auf den lokalen Nachwuchs der sogenannten "Amateur-Rockbands". Das am 25. April 1984 erstmals veranstaltete Konzert-Format "Neue Gruppen stellen sich vor" entwickelte sich in der "Eiskeller" genannten Connewitzer Konzert-Location (damals offiziell "Jugendklubhaus Erich Zeigner") zu einer festen Größe im Live-Geschehen (24 Konzerte bis November 1987, danach in "Rock-Laden" umbenannt). In diesem Rahmen bekamen jeweils eine, zwei oder mehr Nachwuchs-Formationen, mittels der ständig ausgebauten Szene-Kontakte der "IG Rock" teils direkt in ihren Proberäumen angeworben, die Möglichkeit der Selbst-Präsentation auf einer professionell ausgestatteten Bühne mit wachsender überregionaler Ausstrahlung. Ziel und Ergebnis dieses Konzeptes war die Einbindung zunehmend systemferner Rockfans und Musiker, denen aber gleichzeitig die unabdingbare Anpassung an die vorgegebenen Formalien als Live-Akteure in der DDR im Rahmen der obligatorischen "Spielerlaubnis" nahegelegt wurden. Dieser eigentliche Konformitäts-Zwang wurde abgemildert durch die Vermittlung von Instrumenten- und Gesangs-Unterricht, technische Beihilfen sowie die Organisation der zur Erlangung der "Spielerlaubnis" notwendigen "Einstufungen". Die "IG Rock" erreichte damit den Ruf einer (in gewissen Grenzen ausgleichenden) unkonventionell-szenenahen Schnittstelle zwischen dem spontan gelebten Rock-Alltag und der, neben der politischen Indoktrination, vor allem auch trägen und innovationsfeindlichen Kultur-Bürokratie der DDR. Ab 1985 war die IG mit dieser Rolle fest in die kulturpolitischen Leitlinien der Stadt Leipzig eingeschrieben.
Neben der "sanften" Anpassung aufmüpfiger Jungmusiker an die Zwänge kultureller Betätigung unter den Bedingungen der DDR ermöglichte die Tätigkeit der "IG Rock" aber auch den Einblick staatlicher Behörden und Organe in die sich ständig ausdifferenzierende, teils konspirativ tätige Jugend-Subkultur. Bands und Fans der ostdeutschen Punk-Bewegung, die seit ihren Anfängen 1980/81 bis zum "Härte gegen Punk"-Diktum Erich Mielkes 1983 jedes Maß an Repression des Staates erleben mussten, begegneten der verschleierten Vereinnahmung, wie sie hinter der "IG Rock" mutmaßten, mit zu Recht begründetem Mißtrauen: bereits von 1982 bis 1985 verriet ein in der Führungsspitze der IG positionierter "IMS" (= Informeller Mitarbeiter Sicherheit) persönliche Interna von Musikern und Mitarbeitern an das Ministerium für Staatssicherheit (StaSi), und auch danach waren Spitzel auf verschiedenen Ebenen tätig. Zu Einschränkungen innerhalb der Tätigkeit der "IG Rock" (wie z.B. Auftrittsverbote) kam es durch diese Informationen (mglw. strategisch beabsichtigt) nicht, es sind aber Fälle überliefert in denen durch diese Kontakte Auftritte außerhalb dieses Live-Geschehens von Bands sowohl mit oder ohne Spielerlaubnis sabotiert wurden. Demgegenüber gab es bei Veranstaltungen der "IG Rock" aber auch regelmäßig Auftritte von Bands ohne Spielerlaubnis (häufig sozusagen "strukturbedingt", da ihnen ja mit den recht öffentlichkeitswirksamen Auftritten die Vorteile einer Einstufung erst nahegebracht wurden), hervorzuheben sind außerdem Auftritte des robusten Performance-Projektes Pffft...! mit dem offiziell unerwünschten ChAos, ex-Sänger von Wutanfall (29. April 1987 im JKH "Jörgen Schmidtchen") und der von der Staatssicherheit gemaßregelten und sabotierten Saalfelder Punk-Band Gefahrenzone (12. September 1989 im JKH "Völkerfreundschaft"), auch diese beiden selbstverständlich ohne offizielle Genehmigung.
Bedingt durch die Organisationsform unter dem Dach des Kulturbundes wurden alle IG-Aktiven obligatorisch KB-Mitglieder, neben reinen Rock-Fans waren das zunehmend auch Musiker (es soll sogar bis zu komplette Band-Mitgliedschaften gegeben haben), sowie Leute die sich bevorzugt für den Bereich Management / Veranstaltungsservice oder Rock-Journalismus interessierten. Hier ist z.B. der spätere DT64-Mitarbeiter Holger Luckas zu erwähnen, der im November 1982 den Guerilla-Auftritt von Wutanfall im innerstädtischen Studentenwohnheim "Jenny Marx" lanciert hatte, Förderer und zeitweiliges Mitglied bei Pffft...! war und das "Rock-Blatt", ein dünnes Informationsheft der "IG Rock", bis zu seinem Ausscheiden 1987 zu einem in der DDR unikaten Fanzine-artigen "Underground"-Rockmedium entwickelt hatte. Bands und Musiker wie Tino Standhaft, Exzerpt, Sandberg, Squealer oder Paul's Rock-AG standen zwar weniger für musikalische Innovation, verkörperten aber solides Handwerk und autonomes Arbeiten und stellten neben Technik auch Profi-Know-How für die Gestaltung der IG-Konzerte zur Verfügung. Es gab auch Ansätze, nach dem Muster der in der DDR sonst üblichen Nachwuchsförderung, komplette "Band-Patenschaften" zu realisieren. Die zwei prägendsten Vorsitzenden der IG, Frank "Amor" Schüller (ab ca. 1983, siehe Amor & Die Kids) und Edgar Lahrius-Bergmann (ab 1986, siehe Knuff) waren charismatische, außerordentlich gut vernetzte Szene-Akteure und beide selbst Musiker. Durch ihren Ehrgeiz loteten sie die gewährten Freiräume umfassend aus und sorgten damit für das aus heutiger Sicht ambivalent zu beurteilende "Erfolgsmodell" der "IG Rock". Einerseits konnte sich die Musik-Szene in Leipzig mit ihrer Hilfe überproportional entwickeln, andererseits sorgte sie durch die Umsetzung staatlicher Maßnahmen für eine fortgesetzte Konformität des Band-Nachwuchses.
Neben dem o.g. "Neue Gruppen..." / "Rock-Laden"-Format und weiteren über mehrere Stadtteile verteilten Veranstaltungsreihen wurde das IG Rock Festival (14.-16. Juni 1985) zum wichtigsten regelmäßigen Event und Auftakt der überregional wirksamen Tradition des Leipziger Rockfestivals. 1991 wurde in dessen Rahmen erstmalig der Leipziger Rockwettbewerb präsentiert. Durch die Auflösung des Kulturbundes (Ende 1989) wurde zunächst eine Neu-Konstituierung als "IG Rock / Rock Büro Leipzig" notwendig, deren Einbindung in die Struktur der Leipziger Stadtverwaltung wurde aber schon Anfang 1991 hinfällig, so dass ein "IG Rock e.V." gegründet werden musste. Im gleichen Zeitraum wurde die IG von alternativen Kultur-Akteuren aus dem Connewitzer "Eiskeller" verdrängt, neues Domizil wurde das gegenüber der ehemaligen Kulturbund-Villa gelegene "Haus Leipzig" in zentrumsnaher Lage. Hier wurden in den 1990ern Rockfestival (bis 1995) & Rockwettbewerb als getrennte Veranstaltungs-Highlights der IG weitergeführt. 1997 erfolgte die Umbenennung in "IG Pop e.V.", unter diesem Namen wurde bis 2007 der Leipziger Rockwettbewerb mit wechselndem Turnus & Konzept sowie ständig schwindender Resonanz organisiert, zuletzt im Studenten-Klub "moritzbastei". Inzwischen ist der Verein ohne erkennbare Aktivitäten nur noch im Vereinsregister existent.

Literatur: "Die Geschichte der IG Rock Leipzig" von Dieter Mörchen (2019), in: Beiheft zu "Heldenstadt Anders. Leipziger Underground 1981 - 1989" (Truemmer Pogo TrP 064 / Elbtal Records)