Tape Control Dezember 1992

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Nach dem spät sommerlichen Bandboom im letzten Heft hat sich der Zulauf in diesem Doppelmonat in Grenzen gehalten. Da ich im Herbst automatisch fauler werde, kommt mir das schon irgendwie recht. Nun, was soll ich sagen...jedenfalls durfte ich wieder viel Musik hören. Aus allen Teilen der Neufünfländer und auch aus dem wilden Westen Berlins, der ja eigentlich auch ein Neuländchen ist, wenn wir alle Mal ehrlich sind.

Leider ist die Tonmeldung von dort diesmal nicht' so doll. Das Bemühen, um einen deutlichen Umgang mit deutschem Sprachgut hat sich eine Band auf die Blätter geschrieben, die aus Berlin 26 kommt. Der Name Die letzten Patienten verleitet schon fast zu lästerlichen Bemerkungen. Die verkneife ich mir. Trotzige Tiefgründigkeit im Text und bodenständiger Bluesrock mit ruppigen Wave-Einlagen macht das Konzept etwas altbacken. Schmerzhaft wird dieser "Chirurgische Eingriff" (Tape-Titel) bei der "No woman No cry" - Fassung, in der die Bandmachos diese witzlose Kneipen-übersetzung "Keine Frau, kein Geschrei" interpretieren. Insgesamt irgendwo zwischen Monokel und Klaus Lage, dabei ordentlich produziert (Berliner Trixx-Studio) und auf ansprechende Art (Schwarz/weiß) verpackt.

Ohne es zur Attitüde verkommen zu lassen, benutzen auch die Herren von Vermona Suicide hin und wieder deutsche Worte. In der Regel wird allerdings englisch gesprochen. Die Kapelle aus dem lauschigen Lehnin treibt mit schweren Gitarrengewittern und flotten Rhythmen die Besucher ihrer Konzerte bereits seit einiger Zeit zu deftigen Bewegungen. Jetzt hat man sich entschlossen eine kleine Kassette mit 8 Sonx anzubieten. Die fünf Stücke, die mir davon vorliegen, sagen deutlich, daß aus dieser Band mehr werden sollte, als eine Tonbänder verdealende Musikantenansammlung. Der harte Stoff schlägt nicht nur die traditionelle DDR-Musikinstrumente-Branche aus dem Rennen, er läßt nach mehr verlangen.

Ganz anders, weil viel weiter von der harten Realität des schnöden Lebens entfernt, schwebt uns ein weiteres Ergebnis der schöpferischen Arbeit von Micky Mouse Johnson entgegen. "Sleep Deep, Meet Sheep" heißt deren neue Kassette. Viiiiiel Echo und lange Gitarrennoten. Das ist schon fast zu schön, um wahr zu sein. Leider offenbaren sich auf diesem Band und gerade bei dieser Musik einige Soundprobleme, welche die Potsdamer Klicke sonst durch hohen Eigenanteil von Verzerrern zu überdecken weiß. Das MMJ-Projekt muß bald den Weg in ein ordntliches Studio finden, sonst verlieren vielleicht auch härteste Psychedelic-Fans bald die Lust an den Songperlen.

Aus dem Thüringschen erreicht uns das Tape des Quartetts Neoncultur. Was erstmal nach waber-Wave klingt, entpuppt sich schon beim ersten Teil als gründliche Gitarrenarbeit. "Blou" enthält vier Songs und gehört damit zu den Tapes, die gerade als Appetithappen gelten dürfen. Bei Cover und Bandmaterial wurde allerdings relativ viel Aufwand getrieben. NEONCULTUR (ohne e, aber mit c) befindet sich im großen Feld der Bands, die den netten Gitarrenbeat unserer Tage pflegen und dabei auch schöne Songs zustande bringen. Nicht alles ist so hart, wie "Brain" aber eben doch recht ordentlich.

Dieses allgemeine Urteil trifft auch fast auf Burning Bilders zu, eine vier Mann starke Band aus Meckenheim bei Bonn. Fürs Erste schrubben die diesen beliebigen Punk runter. Ganz schick ist dann auch das Cover mit vielen Parade-Soldaten und dieser Sex Pistols Schnipselschrift. Dann kann man doch noch ein paar gute Songideen entdecken. Gespielt wurde das Ganze eher lustlos. Da macht die mit überspielte Live-Seite doch mehr Spaß. Am Sound gibts immer was zu meckern. Hier gings wohl nicht besser.

Manchmal gehts aber so schlecht, daß man, oder frau es doch besser lassen sollte. Ein Tape, das mich erreicht hat, soll hier mal als Beispiel dienen. Das Orchester nennt sich Experiment 4. Die Band aus Doberlug-Kirchhain hat zwei Songs aufgenommen, viel Arbeit in ein Cover und einen Aufkleber gesteckt, das Tonmaterial auf eine K-10 Kassette aus Priesnitz (Normalband, eigentlich für RFT-Computer zum Daten-Speichern hergestellt) kopiert und abgeschickt. Daß dann die Songs auch noch langweilig sind, macht die Sache eigentlich kaum noch schlimmer. Also: vergisses.

Nicht vergessen, mir ihre Bänder zu schicken sollten alle Bands, die diese Zeilen gelesen haben. Habt keine Angst, der Onkel beißt nicht, er ist nur manchmal etwas schrullig.