Alösa Frühlingsfest

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Die im Ost-Berliner Stadtteil Rummelsburg gelegene neugotische Erlöserkirche wurde mit ihrer Gemeinde in den 1980er Jahren zu einem Zentrum und Schauplatz verschiedener mit der KvU-Bewegung (Kirche von Unten) verbundenen Oppositionsthemen, sowie der DDR-Friedensbewegung und wurde deshalb engmaschig von der Stasi (= Ministerium für Staatssicherheit) observiert.
Im Rahmen der Unterstützung alternativer Jugendkultur in der DDR bot sie sich auch als Veranstaltungsort für Konzerte unangepasster Rockgruppen an, denen eine offizielle Auftrittsgenehmigung verweigert wurde oder die aus politischen Gründen darauf verzichteten, zunächst in Form so genannter "Blues-Messen". Im Juli 1983 spielten hier so zum ersten Mal auch Punkbands der "1. Generation", die Berliner Planlos, Namenlos und Unerwünscht. Die damals noch rivalisierenden Szenen der Punks und Blueser fanden sich später in oppositioneller Koexistenz, wie auch an vielen anderen kirchlichen Auftrittsorten in der DDR. Neben den sporadischen "offiziellen" Musik-Messen bot die Kirche mit ihrem "Leichenkeller" genannten Gewölbe der Szene auch ein regelmäßiges Domizil, in dem Konzerte als nicht genehmigungspflichtige Privatpartys durchgeführt werden konnten.
Mitte der 80er verschob sich das musikalische Profil deutlich in Richtung Punk & Verwandtes. Mit 2500 Besuchern und 16 Bands aus der DDR, dem sozialistischen Ausland, der BRD und sogar aus Italien und West-Berlin stellte das so genannte "Alösa Frühlingsfest" am 23. April 1988 (in manchen Quellen werden abweichend der 21. und 22. April als Datum genannt, Fakt ist dass in der Planung bewusst falsche Daten ins Spiel gebracht wurden, um die Stasi zu verwirren) den Höhepunkt dieser Entwicklung dar. Das lautmalerische "A-lös-A" nahm Bezug auf die in der Punkszene verbreiteten Ideale des Anarchismus. Die Teilnehmer dieses Mini-Festivals waren:

  • OPM / Sanov 1 / Do Rady (alle CSSR)
  • Trybuna Brudu / Karcer (alle Polen)
  • Aurora (Ungarn)
  • Horschix Enkel / Total im Arsch (West-Berlin)
  • Pissed Spitzels (Niedersachsen)
  • Lager (Italien)

Auch das Festival lag im Fokus der Stasi, konnte aber lediglich behindert, nicht verhindert werden. Ein Festival-Fanzine, das in Polen gedruckt und von "A-Micha" Horschig in die DDR gebracht werden sollte, wurde an der Grenze beschlagnahmt und Horschig verhaftet. Versuche, den Vorbestraften zum Verrat über Details des Festivals zu zwingen, scheiterten. Als einzige spürbare Folge wurden zum Festival einreisende Punks aus Polen stärker kontrolliert und zum Teil an der Grenze festgehalten. Der Zugang zum Konzertgelände selbst wurde, anders als bei ähnlichen Veranstaltungen in der Vergangenheit, nicht verhindert. Die Stasi beobachtete alles und jeden, schritt aber nicht ein, neben der Zurückhaltung wegen des kirchlichen Schutzraumes eher ein Anzeichen von staatlicher Agonie oder vielleicht auch einer temporären Taktik (Quelle: "Stirb nicht im Warteraum der Zukunft", von Tim Mohr, S.423ff.).
Von den Konzerten existieren diverse Video- und Audio-Aufnahmen, die aber überwiegend erst nach der Wende aufgearbeitet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, meist im Rahmen des nichtkommerziellen Tape- und Datenaustauschs und auch als Web-Download. Eine Ausnahme bildete bereits 1988 die seltene semi-offizielle Tape-Compilation "Frühlingsfest '88" auf dem polnischen Independent-Label QQRYQ Tapes.
1989 und 1990 gab es weitere Auflagen des Frühlingsfestes, die aber nicht annähernd den Status und die Aufmerksamkeit des Originals erreichen konnten. Eine privat mitgeschnittene Zusammenstellung von 1989 belegt die Teilnahme von folgenden Bands: