Kategorie:Samisdat
Abgeleitet vom russischen Begriff "сам-издательство" (sam-isdatelstwo = Selbstverlag), Herausgabe von "nicht systemkonformer, zumeist verbotener (...) Literatur über nichtoffizielle Kanäle", ab den 1950er Jahren in der UdSSR, später im gesamten Ostblock.
Im Ursprung ging es dabei um die Verbreitung von bereits existierenden Büchern und Schriften, die im jeweiligen Land unverlegt, unerwünscht oder gänzlich verboten waren. Später wurde es, neben Lesungen im privaten Kreis, die einzige Möglichkeit, auch neue, aktuelle literarische Texte (Gedichte, Songtexte, Prosa) außerhalb des in der Regel strikt staatlich kontrollierten Verlagswesens einem größeren Publikum bekannt zu machen.
Im hier gemeinten Sinne und betroffenen Zeitraum nutzten (verstärkt) in den 1980er Jahren der DDR Literaten und Künstler eine gesetzliche Ausnahme vom staatlichen Imprimatur-Zwang als Publikations-Lücke: bis zu einer Auflage von 99 Exemplaren durften künstlerische Werke auch ohne eine derartige Druckgenehmigung vervielfältigt werden. Dies geschah mangels konventioneller (und streng kontrollierter) Drucktechnik mit Hilfe von Schreibmaschinendurchschlägen, Fotoabzügen oder verschiedenen grafischen Techniken, weshalb hier häufig auch von "originalgrafischen" Mappenwerken, Büchern und später auch Zeitschriften gesprochen wird. Ab 1982 entstanden eine ganze Reihe periodisch erscheinende Literatur- und Kunstzeitschriften nach ähnlichem Schema und mit vielfach gleichem Personal an Fotografen und Grafikern, Dichtern, Schriftstellern und Autoren wie z.B. Sascha Anderson, Bert Papenfuß, Peter Wawerzinek, Heinz Havemeister, Claus Löser, Florian Merkel und Gabriele Stötzer. Diese Durchmischung resultierte aus den DDR-weiten semi-offiziellen Netzwerken, in denen sich in der Regel alle daran Beteiligten bewegten, und von denen immer die jeweiligen Herausgeber neben dem künstlerisch-intellektuellem Austausch auch einen wirtschaftlichen Vorteil ziehen konnten, denn diese Erzeugnisse wurden als limitierte Kunstobjekte von Sammlern sowohl im In- wie im Ausland geschätzt und erworben.
Relevant für das Parocktikum ist die Tatsache, daß zu den Beilagen dieser Samisdat-Zeitschriften auch immer wieder Tonträger (in der Regel Tapes, sowie in der "verwendung" Heft 4 eine 7"EP von The Local Moon) gehörten. Es gehörte zum Kontext der medialen Grenzüberschreitungen in der oppositionellen Kultur der DDR, daß sich bildende Künstler auch mit Musik auszudrücken versuchten, kunstaffine Musiker sich als Maler betätigten, und dissidente Lyrik als Songtexte Verwendung und Verbreitung fand. Aber auch klassische bzw. performative Lesungen wurden als Tonkonserven veröffentlicht.
Die systematische Aushebelung des Druck- und Verlagsmonopols der DDR durch die Samisdat-Editionen (z.B. durch die vermehrte Einbeziehung von literarischen und kunstwissenschaftlichen Texten) wurde mit ganz wenigen Ausnahmen (z.B. Verbot der "Galeere" 1986) staatlich geduldet, ebenso wie die ab 1986 stark anschwellende Tätigkeit von reinen Musik-Tape-Labels, die rechtlich durch keinerlei Ausnahmen vom Imprimaturzwang gedeckt war. Dennoch ist anzumerken, daß die Tonträger-Beilagen der originalgrafischen Zeitschriften demgegenüber zumindest formalrechtlich legal waren. Ansonsten wurde auch die Samisdat-"Szene" mittels einer ganze Reihe prominenter und gleichzeitig als Stasispitzel tätiger Beteiligter wie Sascha Anderson (IM "Peters" u.a.), Rainer Schedlinski (IM "Gerhard") oder Robert Linke (IMB "Hubert") durch das MfS "begleitet". Auf der anderen Seite wurde u.a. gegen Frank Bretschneider (OPK "Sieb") und Claus Löser (OPK "Lyra"), sowie Matthias BAADER Holst (OPK "Barkasse") und Aljoscha Rompe (OV "Kalender") explizit wegen ihrer Samisdat-Aktivitäten durch die Staatssicherheit ermittelt.
Hier aufgeführt sind die meisten bekannten originalgrafischen Zeitschriften der DDR mit Erscheinungsort und -zeitraum. Editionen mit (*) enthielten Tonträger-Beilagen, bei anderen sind in Klammern namhafte Herausgeber und Mit-Autoren genannt. Bis auf die heute noch erscheinenden "ENTWERTER/ODER" und "Herzattacke" wurden alle Samisdat-Zeitschriften spätestens 1989/90 eingestellt.
- "A DREI", Karl-Marx-Stadt 1983 - 1987 (* in Nr.10 und 12, Grafik-Edition von Frank Bretschneider & Claus Löser)
- "Anschlag", Leipzig 1984 - 1989
- "ariadnefabrik", Berlin 1986 - 1989
- "Bizarre Städte", Berlin 1987 - 1989 (* in Band II siehe hier + III)
- "Braegen", Berlin 1989 (Ronald Lippok)
- "Caligo", Berlin 1985 - 1987
- "clochart", Karl-Marx-Stadt/Dresden 1988/89
- "Dämmerungen", Jena/Weimar 1989
- "ENTWERTER/ODER", Berlin seit 1982 (* in Heft 34, siehe hier + hier)
- "Galeere", Halle/Saale 1985/86 (Matthias BAADER Holst)
- "Glasnot", Naumburg/Leipzig 1987 - 1989
- "Herzattacke", Berlin seit 1989
- "Koma-Kino", Berlin 1987 - 1989
- "Liane", Berlin 1988 - 1990 (Heinz Havemeister)
- "Messitsch", Leipzig 1987 - 1989 (Thomas Meitsch, André Friedrich u.a.)
- "Mikado", Berlin 1983 - 1987
- "1. Mose 2,25", Schwerin 1988/89
- "Öffnungszeit", Schwerin 1986
- "Reizwolf", Weimar 1988 - 1990
- "Schaden", Berlin 1984 - 1987 (* in Heft 11/1, 11/2, 14 und 17 siehe hier)
- "Sno'Boy", Leipzig 1989
- "Spinne", Dresden 1989
- "UND", Dresden 1981 - 1984 (Hg. Lothar Fiedler) / "U.S.W." 1984 - 1987 (* im Intermedia-Sonderheft) / "Usf." 1987 - 1989
- "verwendung", Berlin 1988/89 (* in Heft 4 und 6)
- "Zweite Person", Leipzig 1987 - 1989
Quelle: "D1980D1989R / Künstlerbücher und originalgrafische Zeitschriften im Eigenverlag / Bibliografie" (Merlin-Verlag, Gifkendorf 1991)
Netzinfo zu Samisdats in der DDR: Wikipedia | Unabhängige DDR-Zeitschriften (Übersicht)
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