Die glorreichen Achtziger - Messitsch 2/1990

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Messitsch-Autor Mark Modsen hat in der zweiten Jahreshälfte 1990 in der Serie "Die glorreichen Achtziger" verschiedene Aspekte der (vor allem Berliner) Independent-Szene der späten DDR beleuchtet. Dies ist der erste Teil der Serie.

Teil 1: Ein Kassensturz

Die Genossin Oberleutnant Brunner, in Insiderkreisen auch Frau Kaltenbrunner genannt, von der Abteilung Erlaubniswesen des Volkspolizeiamtes Berlin-Weigensee, ist keine unbekannte Größe. Sie hat schon einige renitente Combos auf den lokalen Index setzen lassen. Nun prüft sie mit gerunzelten Brauen die Spielerlaubnis der vor ihr stehenden Musiker. Den Auftritt der Gruppe Hard Pop hatte sie just fünf Minuten vorher wegen unvollständiger Papiere für unzulässig erklärt. Ein banges Warten bei der anderen Band, als sie endlich mit barscher Geste die Pappkärtchen zurück gibt und zischelt: "Na schön. Aber noch was, Herrschaften. Wenn Sie heute abend ein Wort von der Bühne fallen lassen, das geeignet ist, den Interessen der DDR zu schaden, gehen Sie nicht nach Hause." Schluck. Eine Szene aus dem prallen Veranstaltungsleben, Jugendclubhaus Langhansstraße, im Herbst 1986.

Was damals in den Köpfen verantwortlicher Kulturzensoren und Staatssicherheitsmitarbeiter vor sich gegangen ist, werden wir vielleicht noch erfahren, wenn die Memoirengeilheit plötzlich verarmter Spitzenpolitiker eine Weile anhält. Was sie aber mit ihrer Zensur bewirkt haben, kann man schon mit einiger Sicherheit resümieren. Je repressiver die Maßnahmen der Behörden, desto glänzender das Image der Band und um so voller die Häuser, ätsch. Aber die unüberhörbaren negativen Folgen waren das Verkümmern eines musikalischen Anspruchs, weil die Aufgabe der Bands vorrangig die Schaffung einer Ersatzöffentlichkeit wurde. Geprobt wurde immer seltener, gesoffen dafür um so mehr. Die Säle waren eh voll und das Ritual geläufig. Die Auftritte vor immer mehr Publikum und die verstärkte Aufmerksamkeit der Medien brachten neben dem Popularitätszuwachs auch zunehmende Spannungen unter den Musikern. Bei vielen reichte eben die musikalische Integrität nicht aus, um ihre Projekte in eine neue Oualität zu überführen.

Und das 1st nun das Ende. Underground ist tot, lang lebe der Underground. Schnell noch 'ne Major Company abgreifen oder wenigstens ein größeres Indie-Label, wo man 'n bißchen Vorkasse machen kann. Den blöden Wessis sind die Songs allemal unbekannt, da gibts noch was zum Aufarbeiten. Kaum eine Gruppe hat in den letzten Monaten einen Innovationsschub erlebt, das Gegenteil dürfte eher der Fall sein. Was nun? Umkehr in die Zukunft oder back to the roots? Wir werden versuchen, in groben Zügen die Anfange der (Ost- )Berliner Independentmusicszene zu belichten.

Am Anfang war das Nichts, und der Geist Gottes schwappte über die Gewässer. Der Gott hieg John Peel und tropfte ätherweise feinsten englischen Punk in die aufgeräumten Kinderzimmer von Wismar und Dresden, Frankfurt, Leipzig und Magdeburg. Die so infizierten Kids machten sich eilends auf in das Kulturmekka Berlin, weil die Trefferrate bei Gleichgesonnenen hier schon immer höher lag. Wohnungsprobleme wurden meist sehr unbürokratisch selbst gelöst, wenn man nur ein paar Leute kannte. Und man kennt sich gut Anfang der achtziger Jahre in Berlin. Den Winter durchzechen im 'Wiener" oder im "Mosaik" im Sommer kellnern oder Tinnefverhökern auf Hiddensee, das Inselgefühl geniegen. Hiddensee galt unter den Freaks schon immer als Sprungbrett der Ausreiser. Hier war jenes eingebildete Stückchen exterritorialer Autonomie, das ihnen die Gesellschaft nicht zubilligte.

Langsam installierten sich Gesinnungsgemeinschaften. Gegen die hirnverödenden Langweilerprogramme staatlicher Jugendclubs gibt es Gott sei Punk Mittel zur Gegenwehr und im Prenzlauer Berg genügend freie Keller. Die Namen der ersten Stunde: Happy Straps, Aufruhr zur Liebe, Klick & Aus, Tapetenwechsel, The Leistungsleichen ... Auftrittsmöglichkeiten sind rar, die Bands haben sich nicht einstufen lassen. Es gibt kaum eine Party, auf der eine Band spielt, wo die Bullen nicht auftauchen ("Guhn Dach, Bassgondrolle ... "). So weicht man aus unter das schützende Dach der Kirche. Besondere Berühmtheit erlangt der sogenannte "Leichenkeller" der Gemeinde des aufmüpfigen Pfarrers Eppelmann, aber auch andere Gotteshäuser öffnen sich hilfreich dem Krawall der Kellerkinder. Der Sound freilich ist immer unter aller Sau, doch kompensiert ein herzerwarmendes solidarisches Gefühl kleine technische Unzulänglichkeiten. Besonders kurios waren die als Betriebsausflüge getarnten Dampferfahrten mit der Weißen Flotte. Einigen Leuten wird die hervorragende Klick & Aus-Dampfertour zur Walpurgisnacht 1984 in bleibender Erinnung sein. Als die ersten "Ausflügler" an Bord gingen und ihre Instrumente auspackten, malte sich panisches Entsetzen auf den Gesichtern der Besatzung. Da das miserable Wetter einen Aufenthalt auf dem Oberdeck unmöglich machte, drängte sich alles in der verqualmten Mitropa-Taverne, wo mittschiffs die Gruppen Happy Straps, AufruhrZur Liebe, Klick & Aus und Feeling B auf ihre Pauken und Gitarren eindroschen. Das maskuline Traumpaar Schäfer & Marquardt, aufwendig als Transvestiten kostümiert, wurde von den springenden Pogo-Rüpeln einfach an die Wand gedrangt und verzog sich schmollend auf die Herrentoilette. Auch die Stromunterbrechung auf dem mittlerweile wieder im Heimathafen angelangten Schiff leerte die Tanzflache nur langsam, so daß die Volkspolizei, vorsorglich mit Hunden patroullierend, gemächlich zur Personalienfeststellung schreiten konnte. Bilanz des Süßwassertrips: mindestens 800,- Mark Sachschaden wegen beschädigter Holzdecke im Salon, einige Tänzer müssen echt Eisenschadel gehabt haben.

Das schummrige Biotop der zarten Pflanzchens Subkultur reproduziert sich noch bis zu einem gewissen Grade selbst. Zuwanderung aus der Provinz ersetzt den Abgang der Ausgereisten. Das wird sich 1986/87 ändern. Wichtig in allererster Linie ist die Ausreisebewegung als Kitt der verschiedenen Interessengruppen. Daraus ergibt sich auch die beispielhafte Konsequenz, die Autonomie der Szene unter allen Umständen zu wahren. Der Dialog mit staatlichen Stellen beschränkt sich im allgemeinen auf hitzige Auseinandersetzungen mit den Beamten der Abteilung Inneres (Ausreisegenehmigungen), einmal die Woche dienstags.

Als sich jedoch 1984 zum ersten Mal die Gruppe Feeling B um den deutsch-schweizer Songwriter Alexander "Aljoscha" Rompe für eine Einstufung registrieren läßt und auf Anhieb die Sonderstufe erreicht, ist der Bann gebrochen. Der Einzug in die Jugendclubs und Kulturhäuser beginnt. Er hinterläßt die unterschiedlichsten Reaktionen von " ... müßte man sofort verbieten" bis "absolut stark": Das Ende der Abkapselung der Independentszene, die bis dato nur Eingeweihten den Zugang zu Konzerten und Cassettenveröffentlichungen ermöglichte, ist der Anfang des virulenten Aufbrechens stalinistischer Apparatstrukturen.

Autor: Mark Modsen