Kein Talent
Berliner Punkband, 1985 bis 1987.
Oft genannt aber wenig bekannt. Hier eine kurze Vorgeschichte: Bernd Hennig und sein Freund Marcus Hugk aus Berlin-Adlershof gründeten 1983 als 14jährige eine Band, die sie Internationale Müllabfuhr nannten. Als erste Aufnahmen unter einfachsten Bedingungen entstanden waren, versuchten sie durch heimliche Graffiti ihren Bandnamen bekannt zu machen, kürzten ihn hierzu aber bald zu IM ab. Das setzte umgehende Ermittlungen der Staatssicherheit in Gang, der es in kurzer Zeit gelang, die gesamte Band ausfindig zu machen und zu verhören. Ein Musiker wurde in den Jugendwerkhof eingewiesen, der Rest löste die Band eingeschüchtert auf. Im Juni 1986 hatten sie, offensichtlich ermutigt durch die wieder neu aufgewucherte Punkszene, ihre Band reformiert und traten beim kirchlichen Festival "Jugend 86" in Rudolstadt unter dem Namen IM86 auf. Bernd hatte sich inzwischen den Punkername "Boriz Becker" zugelegt. Nach dem Auftritt benannten sie sich in Kein Talent um. Zur selben Zeit hatte Boriz/Bernd, gerade 18 geworden, bereits eine Verpflichtungserklärung als Informeller Mitarbeiter (IM "Erich") für die Staatssicherheit abgegeben (vgl. Galenza / Havemeister: "Wir wollen immer artig sein", 4. erweiterte Auflage 2013, S.174ff.). Marcus Hugk hingegen war bereits zuvor nach West-Berlin ausgereist und betrieb dort kurzzeitig das Punk-Fanzine & Label Swoop!, auf dem u.g. Compilation mit der (bisher) einzigen Aufnahme von Internationale Müllabfuhr erschien.
Cabi, Lord & Boriz arbeiteten mit einem vom Schleim-Keim Frontmann Otze konstruierten Drumcomputer, bei Live-Auftritten kam Reimo Adler dazu. Nach der Ausreise von Bandgründer Lord (1987) entstand mit Michael Horschig und dem bei seiner langsam zerfallenden Band Namenlos eingesprungenen Schlagzeuger Markus von Virus X die Punk-Kollaboration Kein Talent+Namenlos die im November 1987 eine legendäre kurze Polen-Tournee mit den Wartburgs für Walter unternahm. Musik von beiden Bands erschien auf dem Tape-Sampler "We are the flowers in the red zone Vol.1". Boriz wechselte schließlich ganz zu den Wartburgs und gründete nach deren Split die eigene Band Frechheit, Cabi sang mehrfach in Spätformationen von Namenlos und reiste 1989 ebenfalls aus der DDR aus. Ihre Erinnerungen an eine Ostpunk-Jugend verarbeitete sie später in dem Roman "Die Wahrheit ist anders" (C.M.Verlag 2016).
Quellen: Boehlke / Gericke: "too much future - Punk in der DDR" (Ausstellungskatalog, 2. Auflage, SUBstitut / Verbrecher Verlag 2007) | Tim Mohr: "Stirb nicht im Warteraum der Zukunft" (Heyne 2017), S.297ff. + S.362ff. | "Too much future" (Compilation-Booklet 2020)
Besetzung
- Cabi (= Andrea Berwing) - voc
- Lord (= Andreas Maringer) - g
- "Boriz Becker" (= Bernd Hennig) - bg
- Reimo Adler - dr (Antitrott, † 2019)
Musik
Internationale Müllabfuhr
- 1986: Leistung, auf: "Spiel ohne Grenzen" (Tape Compilation, Swoop! / T.N.T. 001)
Kein Talent
- 1987 (rec.): Sag nein, auf: "Uj Elet" (Tape Compilation, Frankreich)
- 1988: Kein Talent+Namenlos - Tote Liebe / Die Hass (sic!) / Links Zwo Drei Vier, auf: "We are the flowers in the red zone Vol.1" (Tape Compilation, QQRYQ Tapes 002, Polen)
- 199?: Hass, auf: "Meine Heimat der Osten Vol.1" (Tape Compilation, Heimat Kassetten HK 01)
- 200?: Schlag zu (rec.87/88), auf: "Rar und Unveröffentlicht / DDR Punk 80-89" (Tape Compilation, Robin Hood Tapes)
- 200?: Schlag zu, auf: "Da war doch noch was! - DDR Punk 81-89" (Tape Compilation, Elbtal Records 022)
- 2008: Zeit, auf: "Ostpunk! Too Much Future" (DVD, good!movies)
- 2020: Die Zeit, auf: "Too much future" (3xLP Compilation, Iron Curtain Radio ICR 001)