Tape Control 01 1993
Neues Jahr, neues Glück. Da bin ich doch mal gespannt, ob wir es hinkriegen, daß jetzt jeden Monat mindestens 4 Tapes auf dem Tisch liegegn, die es lohnt zu begutachten. Bevor ich die aktuelle Ausbeute vorlege (diesmal wieder recht viel und auch gutes, ja ja ), möchte ich mal ein paar Worte über technische Details verlieren. In der Regel nutze ich für diese Ribrik die guten Beziehungen, die ich als Radiomensch genieße, wie ich umgekehrt auch Tapes, die mir an die NM!/Messitsch geschickt werden (wenn ich sie dann mal bekomme) im Radio aufführe. Gewisse Qualitäts-Standarts, jedenfalls technischer Natur, sind eigentlich in beiden Fällen quasi die erste Hürde, die zu nehmen ist. Die meisten Bands haben es derweil auch begriffen. Kaum, daß in der letzten Zeit mal ein Normal-Band-Tape ohne Dolby und Beschriftung vorgelegt wurde. Leider hat nicht jede Kappelle einen guten Bekannten, der die Proberaumsession gleich auf DAT mastern kann. Aber wenn das schon der Fall ist, bitte ich darum, daß genau ein solches DAT geschickt wird (falls es zu teuer ist, schicke ich es auch wieder zurück). Ich bin demnächst auch für den Fall gerüstet, in dem jemand bereits mit einem DCC-Band rüberkommt. Nur Mut. Jedes Rauschprozent weniger erhöt den Genuß der eigentlichen Musik. Im Übrigen freue ich mich auch über Bemusterungen durch Kleinlabel, die sich auf Kassetten spezielisiert haben. es gibt wohl nicht so viele Leute, die über Kassetten schreiben oder sie im Radio spielen, daß eine solche Promotion zu sehr ins Geld geht.
Das dazu. Jetzt aber bitte Musik! Da haben wir schon mal einen weiteren Teil der Story mit Namen: Potsdam rules OK. Noack move't weiter als Tapekönig im Brandenburgischen durch die Gegend und präsentiert uns einen gewissen Mr. Bishop. Wer malt bloß immer diese schönen Cover. Aber das ist eben nicht alles. Diese Band besteht aus vier jungen Leuten, die wiedermal genug andere Musik gehört haben, um sich den Weg durch die unübersehbare Menge guten Stoffs zu bahnen. Sie haben sich für grungende Gitarren entschieden und verzichten, so wie es auch die Besten der Besten halten nicht auf den Song. Headbanging und Mitsingen bleiben nicht länger unvereinbar. Auch hier und dann freut es mich, zu spüren, daß die feinen Dinge des Gitarren-Recordings auch östlich von Steglitz beherrscht werden.
Die LeserIn im fernen Westdeutschland weiß sicher nicht, daß Teltow ganz dicht bei Potsdam liegt, quasi ein kleinerer Vorort der Landeshauptstadt ist. Kein Problem also, wenn eine Band aus Teltower und Potsdamer Typen besteht. In Teltow gabs ja mal die Band Keine Haftung. Und dieser Name taucht auch immer auf, wenn Musiker aus dieser Stadt etwas unternehmen. Keine Haftung ist aber nun wirklich Schnee von gestern. Lampe, Grüni, Joschi und Falte haben jüngst eine neue Kapelle gegründet. Die heißt Diminished und brilliert jetzt mit ihrem Debut-Demo. "Attack!" grummelt es uns entgegen. Und schneller und schneller gehts ab ins Hard Core Country, da wo die Pferde vom Malboro-Mann jedenfalls nicht zum Lagerfeuer traben könnten. Lärmarm, wie das Cover verheißt, ist dieser stoff weiß Gott nicht. Da kann man und frau auch froh drübber sein. Am Ende fehlen die schlüssigen Soundideen, um wirklich das letzte aus den Songs zu kitzeln. Aber das soll ruhig noch etwas Zeit haben.
Es heißt ja, daß viele Köche den Brei verderben können. Die Band The Cooks aus Leipzig ist mit sechs Musikern besetzt. Mancheiner ist uns schon bakannt, zum Beispiel aus der ostdeutschen Folkrockkapelle Folkländers Bierfiedler. Im September haben die Cooks im SET(!)-Studio drei Stück aufgenommen, die uns zeigen sollen, wie man im sächsischen Funk und Spaß verbindet. Alles sehr gut gespielt und ordentlich aufgenommen, aber ganz ohne irgendeinen Kick. Weder der Funk noch der Spaß kommt so recht herüber. Da haben uns ähnliche Dresdner Projekte schon mehr Vergnügen beschehrt.
Die letzten drei Kassetten-Epen in diesem Monat stammen aus dem Hause Trash Tape Rekords. Die Bänder-Abteilung des Rostocker Amöbenklang Imperiums hat derweil 36 Kassetten im Katalog. Dabei ist viel klassischer DDR-Punk und eine Menge Nachwende-Produkte aus der Meklenburg-Vorpommerschen Indie-Szene. Auch wenn "Alge" Roloff seine Tapes in LPs und Doppel-LPs unterteilt, ist diese Unternehmen längst mehr, als nur ein spielerisches Aus-Spaß-Projekt. Zu den Hausbands des Labels gehört The State Of Emergency. Das Quintett hat inzwischen seine zweite Kassette draußen. "Jungle's far away" ist ein weiteres Statement schläfriger Traurigkeit. Soweit ich das einschätzen kann, tun die Musiker ihre Sache gut. Das für meinen Geschmack etwas matschige Mythos, das die Band in ihren Songs vermittelt, gehört nicht gerade zu den aufregendsten Dingen in der landeseigenen Szene. Aber, wie gesagt, ich habe da eher geschmackliche Probleme. Sicher braucht diese, an die großen Schwestern und Divisionäre angelehnte Musikauffassung ein hohes Maß an musikalischer und technischer Perfektion. Daran mangelt es mithin. Aber auch hier ist die zeit ein guter Lehrer...
Trash Tape Rekords ist zwar ein Rostocker Label, kennt aber in seiner Veröffentlichungepolitik keine Grenzen, auch keine Bundesländergrenzen. Bands aus Dresden und Leipzig gehören eben so normal zum Programm, wie solche aus Rostock oder Neubrandenburg. Aus der fernen Messestadt kommen die (Z)erbrochenen Igel. Schon im Winter 1991 haben die vier in Stolles Bunker 10 Stücke aufgenommen, die jetzt als eigene Kassette unter dem Titel "Titanic" an die Fans weitergegeben werden. Der Punk der (Z)erbrochenen Igel kann moderne Hard Core Sprengsel nicht verbergen. Im Gegensatz zu vielen ähnlichen Bands nutzen die Igel die deutsche Sprache. Da kann man schon etwas mehr erfahren, zum Beispiel über "Heavy Metal" aus Brandenburg und andere Schlechtigkeiten. Ein Tape, das mir viel Spaß macht.
Die Grenzenlosigkeit der Arbeit von Trash Tape Records wird klar, wenn der Sampler "Kassengift" im Deck liegt. Eine aktuelle Wave-Compilation, wenn man so will, auch wenn mit dem Begriff Wave eigentlich zu viel gemeint sein kann, um überhaupt etwas auszusagen. Die Bands und Songs auf diesem Band sind dann auch sehr unterschiedlich. Schadstoff aus Güstrow sind eher poppig zurückhaltend, die Leipziger Igel habe ich gerade beschrieben, andere Bands aus Neubrandenburg, Bonn oder Rheurat geben sich deftig und hart. Dann hören wir aber auch The State Of Emergency und die experimentell sampelnden Lethargic Dash (Harry Madness' eigenes Projekt). Ein Sampler eben.