Tape Control 04 1993
In dem Maße, in dem die kleinen, unbekannten Versuche, einen eigenen Weg durch das Dickicht populärer Musik zu finden, Öffentlichkeit verlieren (zum Beispiel im Radio), werden Dinge, wie Geschwindigkeit und Aktualität unwichtig. Niemand sollte also traurig sein, weil seine Kassette erst mit größerer Zeitspanne zwischen Absendung und Nachlesbarkeit berücksichtigt werden kann. der redaktionelle Vorlauf und die postalische Langsamkeit sind daran Schuld.
Dashalb auch heute erst: Neu Rot aus Frankfurt/Main. Richtig, aus der Westhälte von Deutschland und doch mit dem Namen jener Band, die bis Mitte '89 die Leipziger Szene mit vielen Diskussionen und ein paar kleinen Intrigen beschäftigt hat. Dann verschwand Jörg Stein ins noch ungewisse Land der Freiheit. Dort ist es ihm sicher, wie uns allen ein wenig später gut und weniger gut ergangen. Was daraus entstanden ist, als Musik und vor allem auch Worte ist erfreulich gut. Du kannst es auf einer Kassette hören, die das Trio Neu Rot in der Mainmetropole aufgenommen hat. Die sehr dichten deutschen Texte sind auf dem schlichten Cover nachzulesen. Dazu klingen schwere, harte Gitarren, ohne Grunge oder Metal zu sein und doch von allem ein Wenig. Das ist richtig Gut!
Und nochmal Leipzig, diesmal richtige Einheimische: Scandalous Smile melden sich mit einer weiteren Kassette. "Revidia" ist nach Auskunft von Frank Gerdes der Strich unter die jüngste Vergangenheit der Band. Was jetzt anders wird hat er zwar nicht verraten, das können wir uns aber auch als Überraschung aufheben. Die einfachen Popsongs der letzten Scandalous Smile Ära jedenfalls werden vielen in guter Erinnerung bleiben. Als Souvenir können wir also dieses Band mitnehmen. Auf jeder Seite sind drei Songs zu hören, die in Stolles Studio-Bunker, im letzten November aufgenommen wurden. Die Qualität ist regelrecht professionell und vielleicht bedeutet ja die nächste Etappe im Bandleben mal endlich eine richtige Platte. Schön wärs.
Keine Platten sollte Daniel Rund produzieren. Nicht, daß ich es ihm nicht gönnen würde und schließlich veröffentlicht Daniel(!) Johnston ja auch richtige Scheiben. Aber unser Daniel, bekannt bei einigen Liebhabern soundesker Spielereien würde jedes Label ruinieren... So verhält es sich nun mal mit "Erfolg" und "Anspruch". Und genau das ist das beeindruckende an Daniel Runds Schaffen: Sein Anspruch muß vor allem sich selbst genügen und ist damit in fast jeder Konstellation erfolgreich. Die beiden Kassetten, die der berufsmäßige Tierkadaverfotograf gleich mit einem Mal vor unsere Decks wirft sind vom künstlerischen Ansatz sehr verschieden. Natürlich ähneln sie sich stark in ihrer technischen Unvollkommenheit und einer gewissen verklärt romantischen Realitätsferne. Zum einen haben wir da eine kleine Oper. "Gundula & Buffobaldo" wird von Daniel solo und mit einfacher Hausorgel/Giatrrenbegleitung vorgetragen. Sehr obskur auch die Sammlung einiger Dylan-Klassiker in der Interpretation von Daniel Rund. Unter dem Titel "Working for törtchen" singt und orgelt der Berliner Barde "I want you", "Lay lady lay" und andere Songs. dazu ein eigener und je ein Stück nach George Harrison und Blondie.
Wenden wir uns doch einfach wieder dem schlichten Rock'n'Roll zu. Der kommt vor der hand mal wieder aus Potsdam. Nach zwei guten Studio-Kassetten hat sich die viel spielende Band The Misunderstood Genius entschlossen, den HörerInnen ihrer Tapes auch mal etwas von ihrer speziellen Konzertathmosphäre mitzugeben. Einfach "Live'92" heißt das Tapes, auf dessen zwei Seiten jede Menge Mitschnitte von ihrer 92er Tour durch Ost-Deutschland zu hören sind. Zwischen Plauen und Frankfurt/Oder tobte das Publikum nach den Songs der mißverstandenen Genies und ein wenig davon ist auch auf dem Band zu hören.
Etwas romantischer veranlagt ist die Band Saddrive November, ebenfalls aus Potsdam. Wer kennt nicht die Schwermut, die das Gemüt befallen kann, wenn der spätherbstliche Monat mit heftigen Stürmen und regenverhangenen Abenden daher kommt. Die vier Potsdamer gehen dann aber so weit, daß nach ihrem Gefühl jeder Monat, wie November ist. Die tägliche Trauer, die mit jugendlicher Popmusik noch am besten verständlich wird. Die noch fehlende Routine an den Instrumenten wird durch besonders gefühlvolle Interpretation fast wett gemacht. Später werden wir hoffentlich mehr von dieser Band hören.
Aus dem Hause Trash Tape Rekords kommt diesmal ein Tape-Sampler mit Punk aus Deutschland. "Das kulturelle Minus" das hier dokumentiert werden soll, nimmt sich selbst natürlich viel ernster, als es der Titel vermuten läßt. Die eigentliche Punkszene ist bekannter Maßen so zersplittert und zerstritten, daß übers Jahr eine Unmenge solcher Sampler erscheinen müssen, damit ein Überblick, oder eben meherere Überblicke möglich sind. Die Rostocker haben ihre fäden scheinbar vor allem im Westen geknüpft, zumindest für diesmal. Neben der Hausband Dritte Wahl und dem Post-Totalschaden-Projekt The Rattheads kann man auf dem Tape diverse Bands zwischen Bollingstedt und Nürnberg hören. Wie bei den meisten Punk-Tape-Samplern pendelt die Tonqualität erheblich.
Gleich ein Doppelsampler informiert uns ausführlich darüber, welche Musik im Berliner Stadtbezirk Köpenick angesagt ist. Die jungen Bands dort pflegen natürlich verschiedenste Stilrichtungen. Und weil dort keiner auf Syndikat oder Verein warten will, hat sich der Allendeclub und dort speziell "Der Marco" drangemacht und eiinen Köpenick Sampler 1992 zusammengestellt. Logistische und materielle Unterstützung kam aus den Senatsstuben im Europa-Center. Auf zwei Kassetten kann man jetzt von insgesamt 22 Bands Musik hören. Zwischen traurigem Düsterpop, nettem Gitarrengeschrubbe, hartem Punk und hausgemachtem Geklapper ist alles möglich. Allemal eine Entdeckungsreise, die in überwiegend brauchbarer Tonqualität angeboten wird.
Das allgemein gesagt, ist allerdings kein Grund, anzunehmen, daß jede Band aus Köpenick überragend ist. Die zusätzlich eingetroffene Kassette der Combo Notschlachtung (auch mit einem Song auf dem Sampler vertreten) macht mich irgendwie gar nicht glücklich. Präventiv schreiben die jungen Musiker schon mal, daß sie meinen Geschmack wohl nicht treffen würden. Das ist nicht nur richtig, sondern hat seine Gründe. Diese Combo kaut nämlich Material wieder, das einem gerade notgeschlachteten Vieh entstammt: Ost-Rock. Holter-di-polter-Texte deutscher Zunge, auf schubadubie-Melodien, ohne Talent gesungen und gespielt. Wenn das heute noch die Puhdys oder Silly als Veteranen dieser Spezies (und immerhin mit etwas Talent) tun, kann man es gelten lassen. Junge Musiker sollten allerdings versuchen, etwas eigenes zu fabrizieren.
Aber auch Alter schützt vor Torheit nicht. Vier Männer aus Birkenwerder mit Bandnamen Belle-Wü spielen zwar 1A Bluesrock, können aber mit ihrer Drei-Song-Kassette nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie eigentlich nur traurig sind, Ton Steine Scherben nicht früher mal live gesehen zu haben.
Deutschsprachige Rockmusik auf traditionellem Boden kann natürlich auch funktionieren. Noah aus Berlin beweißt das seit einiger Zeit. Auch das ist nicht mein geschmack, aber diese Band macht wenigstens den Versuch, ein eigenes gesicht zu finden. Nach ihrer ersten, selbstproduzierten Platte haben die vier Musiker jetzt ein Tape mit Live-Aufnahmen zusammengestellt.
Und zum Schluß der kleinen Bänderschau noch drei deutsche Bands mit einfacher, internationaler Rockmusik. In der Nähe von Chemnitz liegt Thalheim. Dort leben fünf Typen, die nach kurzer Überlegung zu dem Schluß gekommen sind, daß ihnen eine Band helfen könnte, die eigene Sicht zumindest partiell nach Außen zu tragen. Daß das in tiefer sächsischer Provinz relativ uneffektiv ist, wußten sie dabei ebenso, wie ihnen der Umstand klar war, daß es keine Wunder geben wird. Zumindest ihre erste eigene Kassette haben sie jetzt fertig. Underwear haben sich die fünf genannt und mit dem Tapetitel "Down" beschreiben sie ihren Gefühlszustand treffend. Sie spielen leichten Gitarrenbeat mit spannenden Ansätzen.
Härter drauf ist The Happy Hounting Ground. Das jüngste Demotape der Band aus Frankfurt/Main bietet sechs schwere Songs aus den Tiefen der Gegenwart. Gut zum laut hören.
Eine Mischung aus Beatles-ähnlichen Melodiebögen und schwergewichtigen Gitarren bringt Mellowship aus Furtwangen zum Klingen. Mich stört hier der etwas sperrige englische Gesang, was sich aber mit der zeit weghört, wenn Ihr wißt was ich meine. und wenn Ihr wißt, was sich gehört, schickt mir noch ein paar Tapes, damit ich was zu hören habe.