Frank Bretschneider

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Musiker, Produzent und Videokünstler aus Chemnitz (* 1956 in Obercrinitz).

Während seines Kunststudiums im damaligen Karl-Marx-Stadt begann Frank ca. 1983, wie viele Kommilitonen seinerzeit, auch mit musikalischen Mitteln und Formen zu experimentieren. Früheste Aufnahmen mit dem Künstler Klaus Hähner-Springmühl, später Kartoffelschälmaschine, sind eher dem Freejazz zuzuordnen. Sein zunehmendes Interesse an elektronischer, vom Punk inspirierter Musik a la Throbbing Gristle, Residents oder Cabaret Voltaire und den deutschen "Genialen Dilletanten" wie Der Plan oder Die Tödliche Doris führte ihn dann stärker zur Beschäftigung mit dem musikalischen Potential von Synthesizern, Sequenzern und Tape-Loops. Daraus folgte die in der DDR sehr aufwendige Beschaffung der dafür nötigen Geräte inklusive innovativer Eigenbauten und damit schließlich die Möglichkeit zu mehreren kurzlebigen Kollaborationen mit bildenden Künstlern und Dichtern wie Christian Heckel (* 1959, später Radjo Monk), Matthias Stein (* 1954, Stein Im Brett) und Fritz Hendrick Melle (* 1960, Kriminelle Tanzkapelle).
Sein eigenes Solo-Debüt-Tape "Scombermix" enthält Aufnahmen aus den Jahren 1983 bis 1985 wiederum mit Text-Beiträgen von Melle und Heckel, zwei Jahre später verwendete er für komplett im Alleingang Erstelltes den Projekt-Titel A.F.Moebius (benannt nach dem Mathematiker August Ferdinand Möbius, dem Entdecker des geometrischen Phänomens Möbiusband). Bretschneider kompilierte zu dieser Zeit außerdem Tapes als musikalische Beilagen zu der von ihm zusammen mit Claus Löser 1983 begründeten Grafik-Edition "A DREI" und lieferte Beiträge zur originalgrafischen Zeitschrift "Der Hase", an der auch Jan Kummer, Christian Heckel und Florian Merkel (Die Gehirne) mitwirkten. Aufgrund seiner Mitwirkung an "A DREI" eröffnete das Ministerium für Staatssicherheit im Februar 1985 gegen ihn die OPK "Sieb", die aber nach etwa zwei Jahren ergebnislos beendet werden musste, da der nach DDR-Gesetzgebung legitime Status eines künstlerischen Druckwerkes keine Strafverfolgung zuliess. Mit ähnlich kreativen Schachzügen gelangte später auch die AG Geige zu ihrer offiziellen Spielgenehmigung: Nachdem eine Einstufung als konventionelle "Amateurtanzmusikformation" im Februar 1987 noch erfolglos blieb, gelang kurz darauf derselbe Vorgang als "Volkskunstkollektiv" aus dem frei erfundenen "Fachgebiet elektronische Musik". Offensichtlich unterblieb hierbei jeglicher Einfluss des MfS, obwohl mehrere IM über die Auftritte der AG Geige Berichte schrieben.
Neben seiner Arbeit als Musiker gewann gleichzeitig die Musikproduktion im eigenen "Sonnenklang"-Studio und die Distribution von Kassetten über sein ab 1985 betriebenes klangFarBe-Label an Bedeutung, wodurch sein Schaffen als bildender Künstler, später aber auch als Solomusiker in den Hintergrund rückte. Letzte Ursache dafür war der überraschende Erfolg seines weiteren musikalischen Projektes AG Geige, das sich in dem oben beschriebenen Umfeld ca. 1985/86 entwickelte und zusammen mit Ina Herrmann (später verheiratete Ina Kummer), Jan Kummer und Torsten Eckhardt zu einer langlebigeren Band konstituierte, die sich nach der Überwindung früher technischer Unzulänglichkeiten und deshalb anfänglicher Aversion gegen Live-Auftritte ab ca. 1988 zu einer der überregional bekanntesten der sogenannten "anderen" Bands entwickelte. Daneben entstand 1988/89 noch das kurzlebige Cover-Projekt Die Atominoes.
Nach der deutschen Wiedervereinigung arbeitete Bretschneider weiter als Produzent in seinem Sonnenklang Studio, u.a. für die lokalen Projekte Hausmusik und Die Arroganten Sorben, die AG Geige hingegen stagnierte nach der Veröffentlichung ihres zweiten Albums 1991 zunehmend, ihre aus dem kulturellen Vakuum der DDR mitentstandene Eigenständigkeit ließ sich im gesamtdeutschen Rahmen nicht aufrecht erhalten, schließlich zerfielen auch die musikalischen Interessen der Bandmitglieder. Jan Kummer und Olaf Bender gründeten im rückbenannten Chemnitz das Unternehmen KIOX, einen Schallplatten-Laden mit Galerie, Frank Bretschneider arbeitete überwiegend mit Olaf Bender an einem dritten AG Geige Album mit stärkerer experimentell-elektronischer Ausrichtung, das aber nicht mehr zur Veröffentlichung kam, sowie im sogar EBM-orientierten Nebenprojekt Machinehead (zwischen 1992 und 1994). Nach dem nicht genau definierten Ende der Band (ca. 1993/94) arbeitete Frank Bretschneider ab Mitte der 1990er weiter in Richtung Ambient / Abstract / Glitch Electronics, für die Veröffentlichung gründete er 1996 zusammen mit Olaf Bender das Label Rastermusic. Bretschneider veröffentlichte zunächst solo unter dem Projektnamen Komet, später und auf anderen Labels des Genres wie Mille Plateaux, 12K oder Shitkatapult auch wieder unter seinem bürgerlichen Namen. Dazu kamen eine Reihe regelmäßig gepflegter Kollaborationen, so mit Olaf Bender (Solo-VÖ als Byetone) und dem Chemnitzer Klangkünstler Carsten Nicolai als Signal, mit Tilo Seidel im Duo als Tol sowie im Trio Bretschneider / Bender / Seidel als Produkt.
1999 fusionierte Rastermusic mit dem 1994/95 von Carsten Nicolai gegründeten noton.archiv für ton und nichtton, mit dem bereits zahlreiche Co-Releases veröffentlicht worden waren, zu Raster-Noton, einem der bis heute größten und einflußreichsten Label für experimentelle elektronische Musik in Europa. Es wird von Olaf Bender geleitet, nachdem sich Frank Bretschneider aus der Label-Arbeit weitestgehend zurückgezogen hat.

Frank Bretschneider im Netz: www.frankbretschneider.de | Wikipedia | Interview 1995 zur Gründung von Raster Music

Musik (Solo & Kollaborationen / Auswahl)

weitere Tonträger: www.frankbretschneider.de/discography | Discogs: Solo | Solo Compilations | Komet | Signal |

Lesen

  • "Audio-Art" von Frank Bretschneider (1988), in: Galenza / Havemeister 1999, S.232ff.
  • "KlangFarBen von der Peripherie - Frank Bretschneider", in: Pehlemann / Galenza 2006, S.136ff.