Das Freie Orchester
Berliner Avantgarde Band, 1986 (a.a.O. 1985) bis 1992.
Bewegten sich im Spannungsfeld von experimenteller Elektronik und Krautrock à la Can, Cluster und Tangerine Dream. Zahlreiche Sessions, Soloprojekte und Kollaborationen, auch mit westdeutschen Musikern wie Harald Großkopf und Lutz Ulbrich von Ashra und dem früheren Kluster und Tangerine Dream-Mitglied Conrad Schnitzler, wurden auf dem bandeigenen Tape-Label Kröten-Kassetten dokumentiert. Der spätere DT64 (ab 1987), danach "radioeins" Redakteur (bis 2022) Jürgen König wurde wegen seiner kreativen Rolle als Live-Mixer in dem von Improvisation dominierten Gruppensound als Bandmitglied geführt. Ab dem Tape "Now" wurde ohne Thomasius und Willner weitergearbeitet, dafür stieg die West-Berliner Independent-Radio-Legende Lord Litter bei DFO ein. 1992 löste sich die Band auf.
Auszug aus der Bandbiografie:
Unumstößliche Grundlage war die freie Improvisation. Sowohl textlich als auch musikalisch war alles möglich, zumal die Bandmitglieder sich auch erst mal die Handhabung ihrer Instrumente erarbeiten mussten. Dazu kamen selbstgebaute Klangerzeuger, die Masophon, Metallic Noise Masturbator, Wooden Orgasme oder Phallalaika hießen.
Im Laufe der Zeit kristallisierte sich so der typische DFO Klang heraus: Bass und Schlagzeug bildeten die Basis der Stücke, Gitarre und Synthesizer steuerten abgedrehte Sounds, abstrakte Noise-Strukturen und Klangfragmente bei. Dazu improvisierte die Sängerin ihre mal dadaistischen, mal surrealistischen und hin und wieder auch ganz realistischen Texte.
Bei den zahllosen Auftritten in der DDR bis zur Maueröffnung wurde diese Spielweise auch auf die Konzertbühnen gebracht. Niemand wusste vor dem Gig, in welche Richtung sich der Abend entwickeln würde, denn nach wie vor war alles improvisiert. Und so trat die Band mal in einem Jugendclub, mal in einem Rock-Schuppen, aber auch bei diversen Jazzfestivals auf.
Nach seiner Trennung vom DFO arbeitete Jörg Thomasius mehrfach eng mit dem legendären Avantgarde-Musiker Conrad Schnitzler zusammen, später auch wieder mit dem früheren DFO-Kollegen Gui Gust, der ab 1992 in Lord Litter's Band spielte.
Auch Dieter Zobel arbeitete, unter Pseudonym "Didier LeBoz", später sporadisch mit Litter zusammen. Er veröffentlichte außerdem Mitte der 90er zwei Alben mit Freicore und betrieb später die Soloprojekte Shwaan und Reaktorsynth, sowie Dubspace zusammen mit Alexander Istschenko von Herbst in Peking.
2019 trafen sich Gust, Zobel, Spindler, König und Lord Litter und improvisierten wie in der Anfangszeit frei neues Material. Lord Letter schrieb Texte, die er selbst interpretierte, Dieter Zobel formte das Ganze zu Songs. Daraus wurde das Album "Debüt & Abschied", das Anfang 2023 digital veröffentlicht wurde. Nach Aussage der Band ist nicht damit zu rechnen, dass das neue Material jemals live aufgeführt wird. Der Tod von Lord Litter am 1. Mai 2024 besiegelt diesen Umstand auf traurige Weise.
Quellen: NMI 5/1990, Kurzbiografie "Das Freie Orchester (DFO), Jürgen König, 2023
Besetzung bis 1992
- Bärbel Willner - voc (bis 1990)
- Jörg Thomasius - key (bis 1990)
- Dieter Zobel - g
- Carsten Spindler - bg
- Gui Gust - dr
- Jürgen König - mix (bis 1987)
- Lord Litter - g, voc (ab 1990)
Besetzung 2019 bis 2023
- Lord Litter - voc
- Didier Leboz - g
- Jürgen König - key, synth
- Gui Gust - dr
- Carsten Spindler - bg
Musik
Alles auf Kröten-Kassetten, falls nicht anders angegeben.
Das Freie Orchester
- 1987: Freiwild (Tape, KK001)
- 1987: 2 (Tape, KK002)
- 1987: 3 (Tape, KK003)
- 1987: 4 (Tape, KK004)
- 1987: 5 (Tape, KK005)
- 1988: Das Freie Orchester / Ashra - Session 24.11.1986 (Tape, KK010)
- 1988: 11 (Live 20.12.1987) (Tape, KK011)
- 1988: Freitag der 13. (Tape, KK013)
- 1988: 1. Programm (Tape, KK017)
- 1989: Rio de Trans (Tape, KK018)
- 1989: Trio (live 18.5.1989) (Tape, KK019)
- 1989: Wolfmusik (Tape, Audiofile Tapes USA aT 71)
- 1989: Esti Hirlap, auf: "Electric Dance Sampler 1989" (CD Compilation, Kill Da Rok, Schweiz)
- 1989: Softly touch, auf: "D.D.R.-Flüchtlinge / KRAKATIT" (Tape Compilation, Kreiskulturhaus "Erich Franz")
- 1990: Der letzte Knüller (Live Berlin 11/89) (Tape, KK025)
- 1990: Live 89 (Tape, KK???)
- 1990: Live in Bayern (Tape, KK027)
- 1990: Now (Tape, Parallelveröffentlichung Out Of The Blue Tapes)
- 1990: Brain Salad (Live 1990) (Tape, Audiofile Tapes USA aT 118)
- 1990: Der Beichtstuhl brennt, auf: "Uj Elet" (Tape Compilation, Frankreich)
- 2023: Steck deine Nase, auf: "Magnetizdat DDR / Magnetbanduntergrund Ost 1979-1990" (3xLP Compilation, Iron Curtain Radio ICR 07)
- 2023: Debüt und Abschied (Digital Album, NCR Records)
Solo-Veröffentlichungen
- 1987: Zobel & Thomasius - Freizeit (Tape, KK006)
- 1988: Zobel & Thomasius - Musik aus dem Regen (Tape, KK007)
- 1988: Zobel & Thomasius - Falscher Hase (Tape, KK008 / auch auf audiophile Tapes aT 91 + Direction Music DMC07)
- 1988: Jörg Thomasius - Schwarze Hände (rec. 1985) (Tape, KK009)
- 1988: Spindler & Zobel - Oszip Tugari! (Tape, KK012)
- 1988: Dieter Zobel - MEZ 31°° (Tape, KK015)
- 1988: Jörg Thomasius - Tomato (Tape, KK016 / als LP 1989, USA)
- 1989: Dieter Zobel - Fetisch (Tape, KK020)
- 1988: Jörg Thomasius - Feedback (Tape, KK021)
- 1989: Gui Gust & Dieter Zobel - Golzstube!!! (Tape, KK023)
- 1990: Dieter Zobel - Moschus (Tape, KK030)
- 2006: Zobel & Thomasius - Gesang der Jünglinge (rec.1988), auf: "Spannung. Leistung. Widerstand. Magnetbanduntergrund DDR 1979-1990" (Buch+CD Compilation, ZickZack ZZ 2015)
- 2023: Spindler & Zobel - Wasophon, auf: "Magnetizdat DDR / Magnetbanduntergrund Ost 1979-1990" (3xLP Compilation, Iron Curtain Radio ICR 07)
(weitere Solo-Werke siehe Jörg Thomasius)
Dokumentarfilm
- Regie: Petra Tschörtner
- Produzent: DEFA-Studio für Dokumentarfilme
- Drehbuch: Petra Tschörtner, Jochen Wisotzki
- Kamera: Michael Lösche, Jürgen Hoffmann
- Musik: Das Freie Orchester
- Mehr Infos: www.progress-film.de