Parocktikum-Sessions
Für die DT64-Sendung "Parocktikum" bzw. von deren "Macher" Lutz Schramm kuratierte und (mit)organisierte Aufnahmen, 1987/88.
Die für diese Aufnahmen benötigten Produktionskapazitäten des Rundfunk der DDR konnten bereitgestellt werden, nachdem auf der medialen Führungsebene die Notwendigkeit erkannt worden war, qualitätvolle und zielgruppen-nahe musikalische Beiträge vor allem von einheimischen Bands planmäßiger zu entwickeln. Dem Moderator des Parocktikum wurden hierbei zum wiederholten Male aufgrund seiner bewiesenen Kompetenz relative Freiheiten zugestanden.
Für die geplanten "Parocktikum-Sessions" wurden zwei anwendbare Szenarien entwickelt, in Abhängigkeit vom Soundbild und Selbstverständnis der präsentierten Bands: eine Art mobile Studio-Produktion, oder den eher "klassischen" Live-Mitschnitt. Beiden Formaten lag die Idee zugrunde, durch räumliche Distanz zur staatlichen Institution Rundfunk den Musikern größtmöglichen kreativen Freiraum zu verschaffen. Die ersten derartigen Aufnahmen entstanden mit der AG Geige in ihrer Heimatstadt als mehrtägige "Studio" Produktion inklusive finalem Mix unter Einbeziehung der Musiker. Die so entstandenen Tracks konnten bereits zwei Tage später (!) im Programm der Sendung eingesetzt werden. Für die darauf folgenden Livemitschnitte wurde, nach einer dort am 18. April 1987 erfolgreich aufgezeichneten "Jazz-Rock-Nacht" (in deren Rahmen mit Electro Artist bereits gute Erfahrungen mit dem angepeilten "Underground-Sound" gesammelt wurden), das Kreiskulturhaus Treptow als Location ausgewählt. Bei den Sessions am 20. Dezember 1987 war mit dem X-Mal! Team ein weiterer, bereits erfahrener Organisator im Boot.
Die Skeptiker und Zorn wurden in ihrererseits präferierten Locations mitgeschnitten, für den Expander des Fortschritts wurde das Konzept der AG Geige Session wiederholt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt entstand beim Rundfunk zunehmend Parocktikum-relevantes Sendematerial ohne Schramms explizite Beteiligung, wie z.B. Mitschnitte von Mad Affaire und Feeling B beim von der FDJ-Bezirksleitung Berlin präsentierten Rockmarathon "Hier um 11" am 2. Juli 1988 in der Werner-Seelenbinder-Halle (mit internationalen Acts wie The Wedding Present und Jonathan Richman plus einheimischem Supportprogramm), und auch bei FDJ-Veranstaltungen wie der "Werkstattwoche Jugendtanzmusik" in Suhl (17. bis 19. Oktober 1988, mit u.a. Sandow, Jade und Die Skeptiker) oder den zwei Ausgaben von "Jugend im Palast" (Januar 1988 und Januar 1989) waren nun Ü-Wagen dabei. Die aufwendige Organisation von "Parocktikum-Sessions" wurde darum nicht fortgeführt.
Trotz der gewollten und gewährten Freiräume kam es auch bei diesen Aufnahmen noch zu zensurähnlichen Einflußnahmen im Rahmen des obligatorischen "Text-Lektorats". Hervorzuheben ist das Scheitern einer Session mit den frühzeitig von Schramm favorisierten Kaltfront aus Dresden. Nach endlosen Diskussionen über verschiedene Texte der erst im Januar 1987 "eingestuften" Band mit tiefen Wurzeln in der zuvor staatlich rigoros bekämpften Dresdener Punk-Szene wurde Ende März 1988 dieses Projekt endgültig abgesagt. Auch bei drei der Expander-Aufnahmen wurde zumindest die Archivierung seitens des Rundfunks abgelehnt, nur im "Parocktikum" durften sie einmal gespielt werden. Weitere Differenzen zwischen live gespieltem, mitgeschnittenem und letztlich archiviertem Material dürften eher technische oder künstlerische Entscheidungen gewesen sein.
Mehrere Bands brachten das entstandene Material zeitnah auf eigenen Tonträgern (Tapes) in Umlauf, vermutlich konnte es unmittelbar nach dem Aufnahmeprozess "inoffiziell" übernommen bzw. eine Übernahme abgesprochen werden. Außerdem gab es unautorisiert verbreitete Radio-Mitschnitte (Bootleg Tapes, z.B. APT FUCK 04 oder den "VEB Sampler Teil 2").
Auf der "Parocktikum" LP vom Mai 1989 wurde von allen Bands (außer DFO) noch jeweils ein Titel aus den Sessions veröffentlicht. Alle Re-Issues seit 2016 greifen auf das im Deutschen Rundfunkarchiv (DRA) konservierte Material zurück. Das können deshalb auch bisher komplett unveröffentlichte Aufnahmen sein.
Sessions & Konzerte
Datum | Band | Aufnahmeort | Erst-Sendedatum (Anzahl Titel) | veröffentlichte Aufnahmen (* = Auszüge / ** = komplett) |
09.-11.10.1987 |
Galerie "Am Brühl", Karl-Marx-Stadt |
13.10.1987 (6) |
5xLP Compilation Box "Zeychen & Wunder" (Major Label ML 104, 2016*) | |
25.10.1987 |
27.10.1987 (4) |
LP "Parocktikum Session 25.10.1987" (Iron Curtain Radio ICR 011, 2025**) | ||
22.11.1987 |
12.12. (6) + 19.12.1987 (1) |
Tape "Just another Hit" (Hartmut Productions, 1988*) + Split Tape Die Art / Rosengarten (Aggressive Punk Tapes FUCK 04, 1991*) | ||
20.12.1987 |
02.01.1988 (1) / 13.02.1988 (5) |
Tape "11" (Kröten-Kassetten KK011, 1988**) / Split Tape Die Art / Rosengarten (Aggressive Punk Tapes FUCK 04, 1991*) + "Schwarze Wolken" (4xLP Compilation, Major Label ML 210, 2025**) | ||
07.02.1988 |
27.02.1988 (10) |
Tape "O.T." (Eigenproduktion, 1988*) | ||
11.-13.03.1988 |
Galerie "studio bildende kunst", Berlin |
19.03. (1) + 25.06.1988 (4) |
Tape "Urknall Horde Mensch" (Irrmenschkassette / Eigenproduktion, 1988**) | |
18.03.1988 |
JKH "Walter Barth", Leipzig |
26.03.1988 (8) |
2xLP Compilation "Nevergreens 1987 - 2021" (Truemmer Pogo TrP 069 / Elbtal Records, 2021*) |
Lesen
- "Zwischenbericht eines Jung-Produzenten" von Lutz Schramm, in: Unterhaltungskunst 10/1988
- "Spule, Feedback und Zensur. Interview mit Lutz Schramm (DT64)", in: Galenza / Havemeister 1999, 288ff.
- "Parocktikum-Sessions. Emanzipationsversuche in der Musikproduktion", in: "Punk und New Wave im letzten Jahrzehnt der DDR. Akteure - Konfliktfelder - musikalische Praxis" von Florian Lipp (Waxmann 2021, S. 376ff.)