Kategorie:Die anderen bands
Mit der Kategorie "die anderen bands" wurde ab 1988 versucht, bereits formierte und ständig neu entstehende Teile der Rock-Szene der DDR zu beschreiben, die sich auf Punk und New Wave beriefen und deren Wurzeln in einer teilweise oppositionellen Jugendsubkultur lagen. Dabei wird unter dem Begriff häufig ungenau subsumiert und als "Etikett" je nach Perspektive auf- oder abwertend gebraucht. Deshalb soll hier zunächst die belegbare Herkunft und danach die unterschiedlichen Bedeutungsebenen erläutert werden.
Unbestrittener Fakt ist: Im Mai (a.a.O. Juni) 1988 erschien der Begriff erstmals als Untertitel der Amiga LP-Compilation "Kleeblatt Nr.23". Diese immer etwas "gereifteren" Nachwuchskünstlern vorbehaltene Samplerreihe widmete sich stets einer bestimmten stilistischen Auswahl wie Jazz-Rock, Liedermacher oder Schlager. Mit der vorliegenden Ausgabe und der notwendigen jugendpolitischen Rückendeckung (in diesem Fall ein vom Zentralrat der FDJ initiierter Beschluss des Politbüros des SED-Zentralkomitees vom 2. Februar 1988) wurde nun auch versucht, die von Punk und New Wave beeinflusste Band-Szene medial zu integrieren. Den Anstoß dazu hatte schon mehr als ein Jahr zuvor die punkige Berliner Ska-Pop-Band die anderen geliefert, die bereits 1986 im Programm des Parocktikum debütiert hatte und 1987 dort sogar die meistgespielte einheimische Formation war. Damals kam es mit diesen prinzipiell kompromissbereiten Musikern noch zum unausweichlichen Konflikt im Textlektorat des Labels, worauf sich die anderen "entnervt" aus dem Projekt zurückzogen. Nach dem Okay aus dem Politbüro wurden nun andere, teilweise bereits bewährte Bands involviert: von WK 13 aus Cottbus und Hard Pop aus Berlin waren zuvor schon einzelne Titel auf DDR Vinyl erschienen, dazu kamen die umtriebigen Feeling B und zuletzt mit Sandow eine (altersmäßig betrachtet) Schülerband, die sich durch ihr Selbstbewusstsein und mit Schützenhilfe ihrer Lokal-Nachbarn WK 13 ins Gespräch gebracht hatten, sich aber auch durch kreative Nutzung von FDJ-Förderangeboten als Aushängeschild für die zu demonstrierende "Öffnung" gegenüber der bisher diffamierten Subkultur anboten.
Von wem genau die Idee zum Sampler-Titel und dem daraus entstandenen griffigen Claim stammte, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Dass ein beteiligter Redakteur mit Kenntnis der Vorgeschichte hier ein Wortspiel mit dem Namen der ursprünglichen Initiatoren betrieben hat, scheint mehr als naheliegend. In der weiterhin extrem zähen Veröffentlichungspolitik von Amiga wurde es explizit zwar nur sporadische weitere drei Male verwendet (für die Skeptiker Quartett EP im Februar 1989, den "Parocktikum" Sampler im Mai 1989 und eine weitere EP der Mixed Pickles, Februar 1990), dafür aber als grafisch unverändertes Logo, beim Parocktikumsampler sogar als "Ausriss" vom Artwork der Kleeblatt-LP erkennbar. Aus vertriebstechnischer Perspektive wurde offenbar versucht, eine Art Sub-Label als Orientierungshilfe für Plattenkäufer zu schaffen. Dabei hatten Kontroversen über den Begriff und seine Deutung bereits in anderen medialen Kontexten Fahrt aufgenommen.
Im ersten Printmedium, das sich systematisch mit den nicht mehr überhörbaren Vertretern des musikalischen "Untergrunds" beschäftigte, dem DDR-Branchenfachblatt "Unterhaltungskunst", wurde bereits seit Februar 1988 regelmäßig über sogenannte "Neue Bands" berichtet. Auch diese Kategorisierung wurde kritisch beurteilt, da viele der vorgestellten Musiker und Acts gar nicht "neu", sondern trotz bereits jahrelanger Aktivität bisher medial nur ignoriert worden waren. Doch auch der Hype von den "anderen bands" wurde von den hier tätigen Autoren demonstrativ nicht übernommen, obwohl oder eher gerade weil diese überwiegend szenenah und fachkompetent argumentierten. Lediglich in der DDR-Jugendpresse wie dem politisch-didaktisch verbrämten BRAVO-Pendant "Neues Leben" (nl) wurde Amigas Marketingbegriff weiter verbreitet, auch über den Kreis der hierunter tatsächlich bisher "gelabelten" Bands hinaus.
Die Verwendung des Terminus der "anderen bands" gewann unmittelbar nach seinem Aufkommen eine unerwartbare Eigendynamik, sowohl in positiv wie negativ konnotierter Bedeutung, die sich aber in jedem Fall auf die Binnen-Rockszene der DDR bezog. Musikalisch bedeutete "anders" sowohl anders als der seichte Ostrock der 70er Jahre, wie auch anders als die sprachlich und stilistisch zwar authentischeren, aber dennoch schon wieder etablierten und damit opportunismusverdächtigen Bands der 80er wie Silly, Pankow oder Rockhaus (wobei hiermit allerdings auch ein ideologieunabhängiger Generationenkonflikt bewältigt wurde). Wer sich fortan als Fan von "anderen bands" bezeichnete, lebte unbewusst die abgrenzende wie die integrierende Funktion des Begriffes aus. Oder "anders" formuliert: Als so bekennender Hörer von DDR-Musik war man plötzlich nicht mehr automatisch uncool.
Die Ermutigung bzw. Selbstermächtigung zum "anders sein" wurde bereits in vieldiskutierten Rocksongs der Zeit thematisiert, so von Pankow ("Er will anders sein", Text von Ronald Galenza 1986) und Sandow ("Er ist anders", 1987). Dass derartige Texte medial "freigegeben" wurden, fiel mit einem implizierten Toleranzversprechen des Staates zusammen, der nunmehr vorgeblich abweichende Lebensentwürfe als gleichberechtigt in der DDR zu akzeptieren schien (siehe o.g. Politbüro-Entscheidung). Damit war natürlich auch eine Spaltung innerhalb der wachsenden Menge von Bürgern, die mit den Verhältnissen unzufrieden waren, intendiert: in jene Oppositionelle, die weiterhin strikt "dagegen" waren, und jene, die mit dem Angebot des "anders-sein-dürfens" beruhigt werden sollten. Im Bereich der hier thematisierten Bands des Untergrunds wurde diese Strategie durchschaut, und vielleicht am drastischsten von L'Attentat formuliert:
"... der Mob will happy sein, man stellt sich darauf ein und kauft paar Gruppen ein ... oh, es tut so weh, gezähmt sind FEELING B, Kultur der SED ... ZUCHT wurden sie genannt, als DIE ART jetzt bekannt, mit dem Arsch an die Wand ... so wird jetzt gut regiert, die Szene wird geführt, der Punk legalisiert ... von Hager aufgemotzt, was die Szene ausgekotzt, mit den "Andern" wird geprotzt, drauf gerotzt! ..." ("Flüstern und Schrein", 1988, zitiert nach "Schreie von Unten", S.51, Kalypso 2022)
Das, was Bands wie Sandow und Die Art durchaus geschickt nach ihrem eigenen Musiker-Selbstverständnis als kreative Handhabung von Freiräumen interpretierten, wurde also aus oppositioneller Perspektive als reine Käuflichkeit und Verrat gewertet und dementsprechend negativ besetzt mit den "anderen bands" verknüpft.
Dabei variierte der Grad der eingegangenen Kompromisse stark: selbstverständlich hatten zunächst alle so bezeichneten Bands durch eine "Einstufung" eine obligatorische "Spielerlaubnis" erworben, die Grundvoraussetzung für legale öffentliche Auftritte war. Manche, wie Koma Kino, Die Zucht oder Rosa Extra, hatten hierzu ihre als kontrovers beanstandeten Namen abgelegt. Die Voraussetzung für mediale Wahrnehmung im Programm des "Parocktikum" war und blieb relativ niederschwellig, angestrebte Schallplattenveröffentlichungen setzten hingegen die Akzeptanz von Zensur oder eine vorauseilende Selbstzensur voraus. Noch problematischer war die Instrumentalisierung für Live-Ereignisse, mit welcher die neue "Toleranz" zur Schau gestellt werden sollte, so z.B. bei den von der FDJ organisierten New-Wave-Sausen auf der Freilichtbühne Weißensee am 31. Juli 1988 ("Beat Inn" mit Die Skeptiker, die anderen, Kaltfront, Die Vision, Big Savod & the Deep Manko und Die 3 von der Tankstelle), 1. Mai 1989 (mit Die Skeptiker, Sandow, 9 Tage alt u.a.?) und 18. Juni 1989 ("Beat Inn" mit Fat Sheik, Tausend Tonnen Obst, Die Art, Wartburgs für Walter und Torpedo Mahlsdorf) oder bei zwei Ausgaben von "Jugend im Palast" (eine spürbar entpolitisierte Fortsetzung der zuletzt 1987 gegebenen Ostrock-Veranstaltung "Rock für den Frieden"), jeweils im Januar 1988 (u.a. mit Herr Blum, AG Geige, die anderen und Teurer denn je) und Januar 1989 (u.a. mit Die Atominoes, Die Vision, die anderen und Tina Has Never Had A Teddy Bear) sowie der "Werkstattwoche Jugendtanzmusik" der FDJ, die im Oktober 1988 wiederum unter Beteiligung der Skeptiker und Sandow, sowie DEKAdance in Suhl stattfand. Einen verhängnisvollen Schritt weiter gingen Die Art, als sie beim "Pfingsttreffen der Freien Deutschen Jugend" in Berlin 1989 Bestandteil einer reinen Propagandaveranstaltung wurden. Ähnlich hoch auf der nach oben offenen Opportunismus-Skala waren FDJ-Förderverträge mit willigen Bands angesiedelt, die nicht nur den Musikern Studio- und Medien-Türen öffneten, sondern umgekehrt auch der bei ihrer "Zielgruppe" nahezu komplett de-legitimierten Massenorganisation das Prestige von "Jugend-Verstehern" zurückholen sollte. Dies wurde aus der Szene vor allen Dingen den Skeptikern vorgeworfen, die zuvor schon ihre Faschismuskritik textlich clever in die Vorkriegszeit verlegt hatten.
Dennoch hatte sich, begünstigt durch die beschriebenen Maßnahmen, die relevante Menge von "anders" klingenden Bands in kürzester Zeit stark vermehrt, und mit ihnen eine neue Generation von Fans und Konzertbesuchern. Die weiterhin bestehenden oppositionellen Kreise der Jugend-Subkultur isolierten sich, einerseits aus verständlicher Vorsicht vor Unterwanderung durch das MfS, andererseits wegen ihrer kompromisslosen Ablehnung und Abwertung jeglichen "FDJ-Punks". Die dahinterliegenden Kontroversen wurden somit damals kaum szene-übergreifend, geschweige denn öffentlich diskutiert.
Auf der anderen Seite traten inzwischen vermeintlich oder tatsächlich staatsferne Akteure wie die IG Rock in Leipzig (bereits seit April 1984), der JK "Extrem" in Lugau (Brandenburg, ab 1985) oder das Veranstalter-Kollektiv von "X-Mal! Musik zur Zeit" in Berlin (seit Januar 1986) auf den Plan, machten die Bandszene noch bunter und sichtbarer und verwischten damit gleichzeitig immer stärker die Grenzen zwischen selbstbestimmtem und "staatlich gelenktem" Untergrund. Der Begriff von den "anderen bands" wurde so, unabhängig von seiner eigentlich nur geringen medialen Verbreitung, zunehmend szeneintern und an der Fan-Basis wirkmächtig. Die ebenso stilistisch-inhaltlich vollkommen offene Formulierung entsprach zudem der immer breiteren Auffächerung musikalischer Genres, wie sie das Programm des "Parocktikum" und dann (in Ausschnitten) der gleichnamige LP-Sampler von 1989 präsentierten. Damit wurde selbst der denkbar kleinste gemeinsame Nenner, nämlich ob nun mit oder ohne "Einstufung" musiziert wurde, allmählich zur Nebensache.
Diese ebenso entgrenzte wie zeittypische Zuordnung spiegelt auch die HP www.die-anderen-bands.de wider, das (vermutlich) erste derartige Online-Projekt, das sich zwischen 2000 und 2008 diesem musikgeschichtlichen Thema widmete. Neben allen nachvollziehbar so kategorisierten Bands werden hier auch solche vorgestellt, die kaum bis gar keinen passenden Zeitbezug haben (wie Freunde der italienischen Oper, Die Körper der Einfalt und AufBruch), und solche die fern (Ichfunktion, Herbst in Peking) oder absolut jenseits (Müllstation, Freygang, L'Attentat, sogar Schleim-Keim!) des ursprünglichen Deutungsrahmens liegen. Und auch in jüngerer Zeit wurden wieder diverse Amiga Re-Releases marketingtechnisch als "die anderen bands" gelabelt (siehe hier und hier).
PS.: Der Verweis auf die noch inkompetentere Aufzählung an anderer Stelle ist nur dem journalistischen Anspruch auf Vollständigkeit geschuldet.
Literatur
- "Die Konstruktion der 'anderen bands'.", in: "Punk und New Wave im letzten Jahrzehnt der DDR. Akteure - Konfliktfelder - musikalische Praxis" von Florian Lipp (Waxmann 2021, S. 424ff.)
Die hier vollzogene, wertungsfreie Auflistung der Bands entspricht den mit dem entsprechenden "Label" bei Amiga veröffentlichten Aufnahmen, exemplarisch ergänzt durch solche, die aufgrund von staatlichen Fördermaßnahmen oder ihrer Beteiligung an den genannten, aus propagandistischen Gründen organisierten Konzerten dazu gezählt werden können. Alle genannten Bands hatten obligatorisch ihre Konzerttätigkeit durch eine Einstufung legalisiert. Auf weitere Zuordnungen wird aufgrund fehlender objektiver bzw. einheitlicher Kriterien verzichtet.
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